Freitag, 20. Oktober 2017

Sehr geehrter Herr Tillich,

im Grunde könnte ich mir diesen Brief auch schenken und Sie einfach auf mein Schreiben vom 29. September an Herrn Söder verweisen. Einen wesentlichen Aspekt Ihrer Analyse des Ergebnisses der Bundestagswahl teilen Sie nämlich mit Herrn Söder, und diesen Aspekt halte ich für falsch (dazu gleich mehr). Da in besagtem Brief allerdings auch viel zur spezifisch bayrischen Situation steht und die sächsische dann doch eine andere ist, schreibe ich meine grundsätzliche Kritik auch für Sie noch einmal auf.

Aber zunächst kurz zum Hintergrund. Nachdem bei der Bundestagswahl Ihre erfolgsverwöhnte sächsische CDU nur als zweitstärkste Kraft hinter der AfD gelandet ist, haben Sie für sich die nicht grundsätzlich falsche Entscheidung getroffen, im Dezember von Ihrem Posten als Ministerpräsident (und von Ihren Parteiämtern) zurückzutreten. Als Nachfolger haben Sie Michael Kretschmer vorgeschlagen und wie es aussieht wird Ihre Partei diesem Vorschlag folgen und Herr Kretschmer wird die Amtsgeschäfte bis zum Ende der Legislaturperiode versehen.

An dieser Personalie zeigt sich meines Erachtens ein grobes Missverständnis. Ein Missverständnis, das in den Unionsparteien gerade modern zu sein scheint. Das Missverständnis lautet: "Das schlechte Wahlergebnis der CDU/CSU ist auf Angela Merkels lasche Flüchtlingspolitik zurückzuführen, also kommen die Wähler zurück, wenn wir härtere Flüchtlingspolitik machen."
Die erste Hälfte des Satzes könnte zumindest noch teilweise stimmen. Es wirkt zumindest erst einmal logisch, die Wählerwanderung zur AfD mit ihren großen Themen zu erklären. Schon hier könnte man allerdings die Frage stellen, ob nicht - wie zum Beispiel auch im Falle Trump in den USA - die Anti-Establishment-Rethorik der AfD wirkungsvoller war. Schließlich hat ein ausgesprochen großer Teil der AfD-Wähler angegeben, seine Wahlentscheidung aus Enttäuschung über die anderen Parteien getroffen zu haben und nicht aus Überzeugung vom AfD-Wahlprogramm. Hier herrscht also allgemein das Gefühl, von den Parteien und ihren Politikern nicht mehr gut vertreten zu werden. Dieses Gefühl einfach mit der Angst vor Flüchtlingen zu übersetzen ist ein bisschen billig. Wichtiger wäre, Strukturen zu schaffen, die den Menschen wieder das Gefühl geben, Einfluss auf die Politik zu haben - und diesen Einfluss dann auch ausreichend zu kommunizieren.

Teil zwei des obigen Satzes unterliegt dem Fehlschluss, die Meinung der Wähler beruhe einzig und allein auf den aktuellen Maßnahmen der Politik und ließe sich durch Anpassung dieser Maßahmen wieder "zurückdrehen". Wie ich schon Herrn Söder schrieb: Die Positionen der AfD wird immer die AfD am glaubwürdigsten vertreten. Es bringt nichts, sie nachzuahmen. Damit werden diese Positionen nur von einer weiteren Stelle legitimiert. Auf der anderen Seite verliert Ihre Partei möglicherweise noch Wähler, weil sich die "politische Mitte" (wo immer die liegen mag) von einer nach rechts rückenden CDU nicht mehr repräsentiert fühlt.

Herr Kretschmer ("Ich stehe mit beiden Beinen fest in der Mitte unseres politischen Systems") schwafelt schon jetzt wieder von "Deutschen Werten" (natürlich, ohne diese näher zu definieren) und fordert eine härtere Einwanderungspolitik. Die Verantwortung für das schlechte Bundestagswahlergebnis in Sachsen sieht auch er bei der Bundespartei und deren "Fehlern" von 2015. Das hat eine gewisse Logik, schließlich braucht auch er einen Schuldigen für sein ganz persönliches Wahldebakel: Sein Direktmandat verlor er gegen einen weitgehend unbekannten AfD-Kandidaten. Wenn er so regiert, wie er es angekündigt hat, dürfte die nächst Niederlage 2019 auf Landesebene folgen.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

Zeit.de: Tillich-Nachfolger will "Deutsche Werte" festschreiben
Welt.de: Ein Verlierer geht, ein Verlierer kommt

Bildquelle:

https://www.medienservice.sachsen.de/medien/medienobjekte/download/109509

Freitag, 13. Oktober 2017

Sehr geehrter Herr Kurz,

ein bisschen musste ich ja schon grinsen, als ich vor ein paar Monaten von Ihrer "Liste Kurz" gelesen
habe. Ich hätte gern Überschriften gelesen wie: "Liste Kurz - Konservative stellen weniger Kandidaten auf, als erwartet" oder etwas in der Art, muss aber zugeben, dass ich den österreichischen Wahlkampf damals nur am Rande mitverfolgt habe.

Dass dieser mit harten Bandagen geführt wurde, habe ich allerdings mitbekommen. Auch, dass gerade gegen Ende des Wahlkampfs die Bandagen gerne mal gegen den Schlagring ausgetauscht wurden - und das nicht nur bei den Dirty-Campaigning-Sozen, sondern auch bei Ihnen und Ihrem Spitzelverein.

Nun würde ich Sie gerne darauf aufmerksam machen, dass Sie und Herr Kern mit Ihren jeweiligen Parteien durch diese Maßnahmen ebenso wie durch die hin- und herfliegenden Beschuldigungen den Eindruck einer Kindergartengruppe erwecken, die über die Frage aneinandergeraten ist, wer als nächster aufs Trampolin darf, während sich daneben mit Herrn Strache ein ausgewiesener Rechtspopulist als "vernünftige Alternative" darstellen kann. Ich würde Sie darauf aufmerksam machen - allein, es wäre vergebens. Sie haben Ihre politische Linie so sehr der von Straches FPÖ angeglichen, dass es praktisch keinen Sinn mehr macht, Sie zu wählen, um ihn zu verhindern. Herr Kurz, wenn man Sie an Ihren Positionen misst, sind Sie nichts anderes als ein Abziehbild ihres politischen Gegners (na gut: des einen Ihrer politischen Gegner. Herr Kern ist ja noch nicht ganz weg vom Fenster).

Das allerdings bringt uns zur Frage: Warum kandidieren Sie überhaupt? Könnten Sie nicht einfach Herrn Straches Kandidatur unterstützen und sich freuen, wenn er dann Ihre gemeinsame Agenda umsetzt?
Könnten Sie, machen Sie aber nicht, denn was Sie eigentlich wollen ist nicht, dass Minderheiten unterdrückt und Flüchtlinge abgewiesen werden. Das ist Ihnen wohl mehr oder weniger egal. Was Sie wirklich wollen ist, so glaube ich, ganz einfach: Kanzler sein. Nichts weiter. Dass das als alleinige Begründung Ihres Anspruchs auf die Position des Regierungschefs nicht ausreicht, brauche ich Ihnen wohl nicht zu schreiben. Das haben Andere mit Sicherheit schon des Öfteren getan und Sie werden inzwischen wohl eine gewisse Routine darin haben, es zu überlesen.

Mein Rat ist deshalb genauso kurz und simpel wie Ihre Ziele für diesen Wahlkampf. Er lautet: Lassen Sie's einfach. Werden Sie nicht Kanzler. Zumindest nicht, wenn Sie sich dazu ausgerechnet zum zweiten Strache machen müssen. Noch besser wäre es allerdings, wenn Sie Ihre Intelligenz und Ihre Erfahrung als Politiker dazu nutzen würden, den menschenfeindlichen Ansichten der FPÖ zu widersprechen, ihre Argumente zu entkräften und auch konservativ eingestellten Österreichern zu zeigen, dass Konservatismus nicht zwingend menschenverachtend sein muss. Wenn Ihnen das nicht gelingt, wäre es an der Zeit, zu überlegen, ob Sie in der richtigen Partei sind.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

Süddeutsche.de: Österreichs Wahlkampf, plötzlich würdevoll

Bildquelle:

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/37/Kurz2017.jpg