Samstag, 29. Dezember 2018

Sehr geehrter Herr Morawiecki,

mit großer Freude nehme ich zur Kenntnis, dass Sie offenbar meine Blogeinträge lesen und meinen Rat beherzigen. Vor vier Monaten habe ich Ihnen geschrieben. Es ging um Menschenrechtsverletzungen, das Unterdrücken Regierungskritischer Äußerungen, um einen Umgang mit einer Menschenrechts-Aktivistin, der eines demokratischen Staates nicht würdig ist und klar gegen die Anforderungen an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verstößt, den die EU an ihre Mitgliedsstaaten stellt. Polen, so schloss ich meinen Brief, wird in der EU gebraucht - aber nicht als autokratisches Regime, sondern als einen Partner im Kampf gegen repressive Praktiken und für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Jetzt, vier Monate später, scheint die Botschaft bei Ihnen angekommen zu sein: "Wir sind das schlagende Herz Europas", verkündeten Sie jüngst bei einem Parteitag Ihrer Partei mit dem wohlklingenden Namen "Recht und Gerechtigkeit" (PiS). Das ist neu, das ist überraschend - und macht ein bisschen misstrauisch. Die PiS war bislang immer äußerst europakritisch eingestellt. Ständig wurde über die Bevormundung aus Brüssel geschimpft und die nationale Souveränität als Leitbild hochgehalten. Eine gemeinsame Lösung der europäischen Solidaritätskrise mit Geflüchteten war mit Ihrer Regierung, Herr Morawiecki, nicht zu machen und wenn man polnische Regierungsvertreter*innen auf die schrittweise Gleichschaltung der Medien und die Versuche anspricht, auch die Justiz unter Regierungskontrolle zu bringen, erhält man in der Regel keine Antworten, die sich als Bekenntnis zu gemeinsamen europäischen Vorstellungen von Demokratie und Rechtsstaat missverstehen ließen. Forderungen der EU nach mehr Rechtsstaatlichkeit werden dann auch konsequent als illegitime Eingriffe in die nationale Souveränität Polens dargestellt - obgleich lediglich gefordert wird, dass Polen Verpflichtungen einhält, die es beim Eintritt in die EU aus freien Stücken eingegangen ist.

Es ist also fraglich, ob Ihre plötzlich aufkeimende Europa-Begeisterung tatsächlich ist, was sie zu sein scheint. Aus oppositionellen Kreisen werden auch andere Deutungsvorschläge laut: Im Herbst des kommenden Jahres sind die nächsten Parlamentswahlen angesetzt und da die Bevölkerung Polens überwiegend proeuropäisch eingestellt ist, lassen sich mit einer Neupositionierung eventuell noch ein paar Stimmen fangen. Andererseits ist zu erwarten, dass dieses Manöver bis zum Herbst durschaut werden wird - schließlich ändert sich nichts an der Partei und im Grunde auch nichts an ihren Zielen und ihrer Einstellung zur EU. Deshalb wird Ihr scheinbarer Sinneswandel auch als Zeichen gewertet, dass es zu vorgezogenen Wahlen kommen könnte. Das könnte beispielsweise passieren, wenn das Parlament den Haushalt fürs kommende Jahr nicht schnell genug beschließt. Dieser hängt schon seit Monaten in einem Parlamentsausschuss fest - wenn er ab dem ersten Zusammentreffen des Abgeordnetenhauses nach Weihnachten nicht binnen drei Tagen von beiden Parlamentskammern verabschiedet wird, kann Präsident Duda den Sejm (Abgeordnetenhaus) vorzeitig auflösen. Das käme fürIhre Partei ganz gelegen - schließlich wird davon ausgegangen, dass sowohl die Europawahlen im Mai als auch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs, das für Ende März erwartet wird, sich eher negativ auf die Umfragewerte der PiS auswirken dürften. Parlamentswahlen noch im März wären also für Sie am bequemsten. Speist sich Ihre neuentdeckte Europaleidenschaft vielleicht aus dieser Erwartung? Ich hoffe nicht, denn Europa könnte ein bisschen mehr Mitarbeit und Unterstützung aus Polen gut gebrauchen.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

taz.de: Plötzlich proeuropäisch
bpb.de: Analyse - Turbulenzen in der polnischen Justiz

Bildquelle:

https://www.flickr.com/photos/premierrp/30041973078/
(https://creativecommons.org/publicdomain/mark/1.0/)

Samstag, 22. Dezember 2018

Sehr geehrter Herr Reul,

©
Land NRW / R. Sondermann
ich weiß nicht genau, ob Sie sich selbst oder der Öffentlichkeit gegenüber unehrlich sind, aber die Scheinheiligkeit und Verlogenheit, mit der Sie gerade allen Ernstes versuchen, Klima- und Umweltaktivist*innen in Sachen Gefahrenpotential mit Rechtsextremen auf eine Stufe zu stellen und so die Angst vor dem Linksextremismus hochzupushen spottet jeder Beschreibung.Haben Sie sich mal selber zugehört?

Ich weiß ja, dass es in Ihrer Partei zum guten Ton gehört, gegen alles, was sich politisch links der Gerhard-Schröder-Version von Sozialdemokratie einordnet, zu wettern was das Zeug hält. Politisches Engagement außerhalb der CDU ist ohnehin schon anrüchig, außerhalb der Parteien bewegt man sich als Aktivist*in dann in Unionswahrnehmung offenbar schon auf der Grenze zur Illegalität. Demonstrationen werden eher als Umsturzversuche gedeutet, denn als legitimer (und grundgesetzlich geschützter) Ausdruck demokratischer Willensbildung und -bekundung. Insofern verwundert es eigentlich nicht, dass ziviler Ungehorsam Ihnen den Schweiß auf die Stirn (und die Einsatzkräfte in den Wald) treibt. Bei aller wohlverstandener Kurzatmigkeit eines Mannes, der in einer Partei sozialisiert wurde, in der Umweltschützer*innen in Baumhäusern offenbar mehr Grund zur Besorgnis bieten, als 14 Brand- und Sprengstoffdelikte mit rechtsextremem Hintergrund im Jahr 2017 (Zahl bezieht sich natürlich auf NRW) in Verbindung mit immer weiter gehenden Enthüllungen rund um rechtsextreme Netzwerke in und um Polizei und Bundeswehr, finde ich doch, dass Sie bei Ihrem Feldzug gegen den Linksextremismus gewisse Grenzen einhalten sollten. So war die Aktion, im Vorfeld der Räumung des Hambacher Walds Waffen zu bräsentieren, die dort beschlagnahmt wurden, dabei aber unerwähnt zu lassen, dass diese Waffen zum weit überwiegenden Teil bereits mehr als zwei Jahre in der Asservatenkammer verbracht haben, ein Beispiel für außerordentlich unverschämte Meinungsmache durch Irreführung der Öffentlichkeit.

Eine weitere Propagandaaktion ähnlichen Kallibers stellt das von Ihnen angekündigte Aussteigerprogramm für Linksextreme ("left") dar.
Wie üblich geht es Ihnen natürlich laut eigener Darstellung nicht um die Diskreditierung der linken Szene. Vielmehr soll Extremismus in jeder Form bekämpft werden, was bedeutet, dass unabhängig von der politischen Richtung auch die gleichen Mittel zum Einsatz kommen. So weit die auf den ersten Blick einleuchtende CDU-Logik.
Auf den zweiten Blick sieht das Ganze aber schon gar nicht mehr so logisch aus: Vor allem die Sinnhaftigkeit eines Ausstiegsprogramms aus der linksextremen Szene muss stark bezweifelt werden, noch viel mehr sogar, wenn nach Ihrer Definition die Demonstrant*innen für Klimaschutz und Kohleausstieg zum linksextremen Spektrum gerechnet werden. In diesen Kreisen ist es nach allgemeiner Erkenntnislage bislang noch üblich, dass wer aussteigen will einfach aussteigt. Ende Gelände mobilisiert bundesweit Menschen zu Tagebaubesetzungen und Ähnlichem - von der Verfolgung ehemaliger Mitglieder, wie es sie bei Aussteiger*innen aus der rechtsextremen Szene gibt, habe ich bisher noch nichts gehört. Wenn Ihnen also diesbezüglich Erkenntnisse vorliegen sollten, wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, um sie öffentlich zu machen - inklusive Beweislage, versteht sich. Ein Aussteigerprogramm zu gründen, ohne den leisesten Hinweis darauf, dass es Leute geben könnte, die Probleme mit dem Ausstieg haben, ist jedoch kaum zielführend. Sie setzen hier Extremismus mit Extremismus gleich und gehen daher davon aus, dass alle Maßnahmen, die sich beim Umgang mit der rechtsextremen Szene als nötig erwiesen haben, auch bei der linksextremen Szene Sinn machen. Das zeugt von einer unzureichenden Kenntnis der Sachlage und einer undifferenzierten Bewertung der Situation.

Die logisch folgende Frage: Wofür ist das ganze Programm gut, wenn es schon zur Bekämpfung des Linksextremismus nichts taugt? Die Antwort, die sich aufdrängt: Es handelt sich um ein reines Propagandainstrument. Der Rechtsextremismus, der Ihrer Partei im politishen Spektrum ja eher näher ist als der von links, lässt sich nicht gut zur Diskreditierung der politischen Gegner*innen gebrauchen. Mit Linksextremismus lässt sich auf jeden Fall die Linke, wenn man Klimaschutzaktivist*innen dazunimmt auch auf jeden Fall die Grünen assoziieren. Das Problem: In dem Bereich wurden seit der RAF keine Terrorzellen mehr entdeckt, keine paramilitärischen Einheiten und keine Verschwörungen zur Ermordung von Politiker*innen. Ein paar Autos haben gebrannt, aber keine Häuser, in denen Menschen schliefen. Es wurde sich mit Polizisten geprügelt, aber sie wurden nicht erschossen.
Linksextremismus als das größere Problem unserer Gesellschaft darzustellen macht also Arbeit, aber für diese Arbeit sind Sie sich nicht zu schade. Genau so ist auch das Programm "left" zu verstehen: Es soll der Eindruck vermittelt werden, dass die linksextreme Szene im Wesentlichen ein Spiegelbild der rechtsextremen Szene sei, mit den gleichen Problemen, der gleichen sektenhaften Mitgliederbindung und natürlich dem gleichen Gewaltpotential. Dass Ihre Vorstellung von Linksextremismus dabei offenbar alles umfasst, was sich traut, außerhalb eines Parlaments eine Meinung zu vertreten (und kein Nazi ist), kommt weniger daher, dass diese Leute sich tatsächlich so extrem links positionieren. Vielmehr definieren Sie die gesellschaftliche Mitte so weit nach rechts, dass der Linksextremismus schon in der in weiten Teilen vergutbürgerlichten SPD beginnt, die kaum ein*e Linke*r noch als "links" bezeichnen würde - geschweige denn als "extrem"...

Herr Reul, Sie betreiben hier Wahlkampf und Imagepflege auf Kosten einer ausgewogenen Information der Bevölkerung. Das ist nicht das, was die meisten Menschen von ihrem Innenminister erwarten - wenn Sie nicht in der Lage sind, reale Bedrohungen und ihre Ideologie auseinanderzuhalten, geben Sie Ihr Amt lieber auf.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

rp-online.de: Zehn rechtsradikale Straftaten pro Tag
blog.wdr.de: Die Wahrheit über die Waffen der Waldbesetzer
taz.de: Klimaschützer bekehren

Bildquelle:

https://www.land.nrw/sites/default/files/styles/video_preview_image_big_960x540/public/assets/images/rso171127-01-086_foto_land_nrw_r._sondermann.jpg?itok=jmv-f1iC

Freitag, 14. Dezember 2018

Sehr geehrter Herr Kutschaty,

bei aller Enttäuschung von der Bundes-SPD hat man ja immer auch so ein bisschen Mitleid: Gefangen in einer Partnerschaft mit dem Koalitionspartner CDU, so denkt man sich, hat sie ja vielleicht doch alles gegeben, als Regierungspartei muss man halt Kompromisse machen und jetzt kriegt die arme SPD den ganzen Hate dafür ab, dass sie eben nicht 100% ihrer eigenen Forderungen durchbekommen hat... Es wirkt ein bisschen unfair und man ist versucht, der siechen ex-linken Ex-Volkspartei tröstend auf die Schulter zu klopfen und zu sagen: Macht nichts. Ihr habt es versucht.

Anders stellt sich die Lage bei Ihnen in NRW auf Landesebene dar. Hier sind Sie in der Opposition. Sie sind durch keinen mühsam ausgehandelten Koalitionsvertrag und durch keine Rücksicht auf den Koalitionspartner gebunden. Die Ausrede "Wir würden ja lieber, aber die CDU..." zieht hier nicht. Sie müssen also für alle Ihre Entscheidungen selbst gerade stehen - so auch für den Beschluss, dem Entwurf eines neuen Polizeigesetzes zuzustimmen, der von der Landesregierung vorgeschlagen und in einem seltenen Prozess von den Regierungsfraktionen und der SPD gemeinsam überarbeitet wurde.

Das Problem an diesem Gesetzesentwurf: Er bewegt sich voll im aktuellen Trend, Polizeibefugnisse zu erweitern und Bürger*innenrechte einzuschränken. Die Terrorabwehr, so das narrativ, funktioniere nur deshalb nicht, weil die Polizist*innen stets und ständig auf irgedwelche Persönlichkeitsrechte von Straftäter*innen Rücksicht nehmen müssten. Die Sicherheit aller ist wichtiger als die Persönlichkeitsrechte Einzelner, also werden letztere eingeschränkt. Oder mit anderen Worten: Wenn wir nur ordentlich draufhauen dürfen, ohne vorher um Erlaubnis zu fragen, werden die Terrorist*innen schon kuschen.

Dass diese Sicht der Dinge nicht den Kern des Problems trifft, ist nicht schwer zu entdecken: Im Fall Anis Amri mangelte es weder an Informationen noch an Mitteln der Staatsgewalt, sich durchzusetzen. Vielmehr arbeiteten die zuständigen Behörden aneinander vorbei und die vorhandenen Infos wurden nicht weitergegeben. Auch beim NSU gibt es viele Hinweise darauf, dass Indizien in Richtung Rechtsterror in ausreichender Anzahl vorhanden waren - dass ihnen nicht nachgegangen wurde liegt nicht daran, dass keine ausreichende Möglichkeit des Unterbindungsgewahrsams gegeben war oder noch kein Kontaktverbot ausgesprochen werden konnte. Die Änderungen, die hier vorgenommen werden, dienen nicht dem Zweck, existierende Mängel am Sicherheitsapparat zu beseitigen. Vielmehr wird die Angst vor Anschlägen genutzt, um Möglichkeiten zu schaffen, unliebsame Gruppen leichter unter Kontrolle halten zu können. Der "Verdacht der Planung einer schweren Straftat", der künftig als Grund für eine zweiwöchige Ingewahrsamnahme mit Option auf eine Verlängerung um zwei Wochen ausreicht, lässt sich relativ frei interpretieren. Schon eine "Üble Nachrede" kann laut anwalt.org unter gewissen Umständen als "Schwere Straftat" bezeichnet werden - im Extremfall könnte also jemand dafür, dass er oder sie verdächtigt wird, eine üble Nachrede zu planen, in Präventivhaft genommen werden. Die Maßnahme muss vorher richterlich überprüft, aber - weil das Ganze sonst zu lange dauern würde - nicht in einem Verfahren bestätigt werden.

Gegen Terror bringt das Gesetz also relativ wenig. Es beschäftigt sich einfach nicht mit den Problemen, die die Verfolgung von Terrorverdächtigen wirklich erschweren. Warum aber dann überhaupt so ein Gesetz machen?

Ein Grund liegt relativ klar auf der Hand: Solange man nicht weiter hinterfragt, ob die beschlossenen Maßnahmen überhaupt dazu taugen, kann man sich mit einem solchen Gesetz immer gut als Kämpfer gegen den Terror und für Recht und Ordnung gerieren. Harte Hand gegen Terroristen: Das klingt erst mal logisch und lässt sich gut vermarkten - besonders gut beim CDU-Klientel. SPD-Wähler*innen sind da in der Regel eher gespalten. Auch aus wahltaktischer Sicht spielen Sie also ein gewagtes Spiel, Herr Kutschaty!

Ein zweiter Grund für dieses Polizeigesetz - bzw. für einige Punkte daraus - lässt sich vermuten, wenn wir die Zeit mal ein paar Monate zurückdrehen. Womit hat sich die nordrhein-westfälische Polizei in den letzten Monaten so beschäftigt? Was sticht besonders ins Auge?
Die #HambiBleibt-Demonstrationen, die Räumungen der Camps im Hambacher Wald, das hat bundesweit und teils über die Grenzen Deutschlands hinaus für Resonanz gesorgt. Wer vorher noch nicht wusste, dass auch in NRW Polizist*innen Dienst tun - jetzt weiß er es! Und was wurde da aus Kreisen der Landesregierung gezetert gegen die Aktivist*innen im Wald. Man hätte meinen können, der IS habe sich in den Bäumen verschanzt, in so finsteren Farben malten Politiker*innen das Bild der Demonstrierenden. Als die Baumbewohner*innen dann abgeführt wurden, ergab sich ein schwerwiegendes Problem: Vile von ihnen wollten ihre Personalien nicht angeben. Ausweisdokumente trugen diese Personen nicht bei sich, die Fingerkuppen waren teils mit Klebstoff behandelt, so dass keine Fingerabdrücke genommen werden konnten - die Identität dieser Menschen war nicht zu ermitteln.
Doch siehe da: Ein paar Wochen später kommt die Regierung plötzlich mit einem Gesetz daher, das genau diese Probleme der Polizei in den Fokus nimmt: Fortan dürfen Personen, deren Identität nicht festgestellt werden kann, bis zu sieben Tage in Gewahrsam genommen werden. Sieben Tage mehr Zeit, um die Identitäten zu ermitteln - sieben Tage in Haft, ohne dass auch nur der Verdacht einer Straftat dafür nötig wäre.
Zumindest diese Bestimmung des neuen Gesetzes ist mit einiger Wahrscheinlichkeit von den Erfahrungen im Hambacher Wald inspiriert. Sie richtet sich nicht gegen Terrorist*innen, auch nicht gegen Gewaltverbrecher*innen: Hier geht es darum, von Aktionen des zivilen Ungehorsams abzuschrecken. Vor diesem Hintergrund ist auch erneut die Frage zu stellen, wofür denn die restlichen Bestandteile des Gesetzes gedacht sind. Wenn sie, wie schon erläutert, nicht zur Terrorabwehr taugen, wozu dann?

Herr Kutschaty, mit der Unterstützung dieses Gesetzes stellen Sie sich gegen die Persönlichkeitsrechte von politisch aktiven Bürger*innen in Ihrem Land. Ja, Demonstrationen und Proteste sind in aller Regel unbequem, je erfolgreicher, desto unbequemer. Deshalb aber eine Drohkulisse aufzubauen, die diejenigen Menschen, die sich auf vom Grundgesetz gedeckte Weise politisch engagieren als Kriminelle abzustempeln versucht, zeugt von einem eklatanten Mangel an Verständnis für die Funktionsweise einer Demokratie. Und selbst wenn ziviler Ungehorsam auch oft die Grenze zur Illegalität überschreitet, bleibt es dabei, dass gewaltlosen Aktionen mit der gebotenen Verhältnismäßigkeit begegnet werden muss. Ein Überwachungsapparat wie bei geheimdienstlichen Ermittlungen gegen Terrorist*innen und ein Einschüchterungsinstrumentarium, wie man es allenfalls gegen die Teilnehmenden einer Neonazidemo auf dem Weg zur Geflüchteten-Erstaufnahmeeinrichtung erwarten würde, entsprechen wohl kaum dieser Anforderung.

Ich weiß, dass Sie sich etwas darauf einbilden, dass das Gesetz ohne die Mitwirkung der SPD noch viel schlimmer aussähe. Fakt ist aber auch: So, wie die CDU und FDP das Gesetz gerne verabschiedet hätten, hätte es wohl kaum lange Bestand gehabt. Jurist*innen zweifelten schon früh die rechtmäßigkeit des Entwurfs an. Das Gesetz musste also entschärft werden. Zweitens: Ja, das Gesetz wäre auch ohne Ihre Zustimmung durchgekommen. Die Verbesserungen, die Sie erreicht haben, mussten also gegen die Grundrechtseinschränkungen abgewogen werden, die Sie den Regierungsfraktionen nicht ausreden konnten. Ich behaupte, dass der so entstandene Entwurf für eine "sozialdemokratische" Partei nicht tragbar ist. Es ist auch höchst unwahrscheinlich, dass Sie daran etwas hätten ändern können, selöbst wenn Sie es ernsthaft versucht hätten: Die Regierung hat vorgelegt, die Grundtendenz des Gesetzes war da. Sie und Ihre SPD konnten nur noch an Details herumdoktern. Selbst wenn Sie wesentlich erfolgreicher gewesen wären, als Sie es de facto waren, wäre trotzdem noch ein Gesetz dabei herausgekommen, das Grundrechte beschränkt, ohne dass dies nötig wäre und dies mit Fällen begründet, in denen die neu geschaffenen Möglichkeiten nicht weiterhelfen.
Das ist nicht das, was ich von einer linken Partei erwarte. Ich habe auch keine tröstenden Worte für Sie, wie sonst für die Bundes-SPD - dieses Mal habe ich nämlich den Eindruck, Sie haben es nicht mal versucht...

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

wz.de: SPD stimmt zu - Neues NRW-Polizeigesetz kommt
taz.de: Koalition für mehr Repression


Bildquelle:

https://www.thomas-kutschaty.de/wp-content/uploads/sites/50/2017/03/kutschaty-900x600.jpg

Sonntag, 9. Dezember 2018

Sehr geehrte Frau Kramp-Karrenbauer,

(c) Olaf Kosinsky
zunächst mal herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Wahl zur neuen CDU-Parteichefin! Ich bin gespannt, was Sie aus der Partei machen - jetzt, wo sich nach 18 Jahren Merkel kaum noch jemand erinnern kann, wie es ist, wenn die Vorsitzende wechselt. Ich bin auch ehrlich gesagt ganz erleichtert, dass Sie gewählt wurden und nicht einer Ihrer beiden Mitbewerber. Klar, auch Sie sind in meinen Augen nicht die perfekte künftige Kanzlerin (und diese Perspektive wird ja bei der ganzen Merkel-Nachfolge-Geschichte schon von Anfang an mitgedacht). Unvergessen bleiben beispielsweise Ihre Äußerungen über die Ehe für alle, insbesondere das Interview aus dem Jahr 2015, in dem Sie sich zu der Behauptung verstiegen, wenn die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet werde, könne es gut sein, dass bald auch eine Heirat von engen Verwandten erlaubt sei. Ich werde also mit Sicherheit nicht wegen Ihnen auf einmal zum CDU-Wähler. Auf der anderen Seite muss man aber auch im Auge behalten, über welche Partei wir hier reden: Es ist traurig, aber viel progressiver wird es momentan nicht in der CDU. In Sachsen wird von Funktionär*innen laut über eine Zusammenarbeit mit der AfD nachgedacht, in Sachsen-Anhalt stimmen schon mal Teile der Landtagsfraktion für einen AfD-Antrag und überall in der Republik schreien Unionspolitiker*innen nach schärferen Sicherheitsbestimmungen, mehr Rechten für die Polizei, wenn es darum geht, Grundrechte einzuschränken und einer stärkeren Untersuchung des Linksterrorismus, frei nach dem Motto: Wenn wir ihn nur gründlich genug suchen, werden wir schon welchen finden - ungeachtet der Tatsache, dass uns der Rechtsterror geradezu ins Gesicht springt. Bevor also einer Ihrer Mitbewerber die Partei in den nächsten Jahren anführt, die ja beide ein ganzes Stück rechts von Ihnen eingeordnet werden, freue ich mich, dass die CDU sich mit Ihnen ein für ihre Verhältnisse moderates Gesicht ausgesucht hat.

Ich schreibe Ihnen jedoch nicht nur zum Gratulieren. Vielmehr ist mir schon in Ihrem ersten ARD-Interview als Parteivorsitzende etwas aufgefallen, was ich für einen eklatanten Denkfehler halte.
Im Interview kündigen Sie an, in Ihrer Partei noch einmal das Thema Migration diskutieren zu wollen, quasi als eine Art abschließende Klärung des Komplexes. So, wie sie das darstellen, wirkt es tatsächlich so, als gingen Sie davon aus, die Fragen von Migration und innerer Sicherheit, die Sie im Interview miteinander verknüpfen, einfach dadurch klären zu können, dass Sie vorher festlegen, dass dies nun aber wirklich das letzte mal sei, dass man diese Themen diskutiere. Am Ende des Prozesses steht dann eine gemeinsame Position im Europawahlprogramm und damit ist die Diskussion abgeschlossen.
Frau Kramp-Karrenbauer, ich glaube nicht, dass es so einfach ist. Ich bin kein CDU-Mitglied, aber auch von außen ist klar zu erkennen, dass die CDU in Sachen Migration tief gespalten ist. Der Anspruch, dem Parteinamen gemäß christliche Nächstenliebe zu üben, steht hier den schon beschriebenen Tendenzen von Teilen der CDU gegenüber, die Nähe der AfD zu suchen und sich ihren Positionen an vielen Stellen anzuschließen. Egal, wie eine gemeinsame Positionierung aussehen würde, sie würde den Streit nicht befrieden: Entweder, sie würde von den Ansichten einer der beiden Seiten dominiert, was die andere Seite zum Widerstand anstacheln würde, oder die letztlich ausgehandelte Position wäre so unbestimmt und nichtssagend, dass keine von beiden Seiten wirklich zufrieden wäre und die Vereinbarung auch keine Bindungskraft entfalten könnte. In jedem Fall würde weiter über das Thema gestritten.
Sicher fühlen Sie sich durch die migrationspolitischen Blendgranaten Ihrer beiden Mitbewerber dazu getrieben, in diesem Bereich aktiv zu werden. Sie glauben, die Bedürfnisse der CDU-Basis zu erfüllen, wenn Sie sich mit Migration - insbesondere mit deren Begrenzung - befassen. Das Problem: Die CDU-Basis, genau wie viele andere Menschen in diesem Land, würde dem Thema Migration wahlrscheinlich gar keinen so hohen Stellenwert einräumen, wenn es nicht alle paar Tage von einem Spahn, einem Seehofer oder einer Wagenknecht mit Gewalt wieder aufs Parkett gezerrt werden würde. Statt die Probleme unserer Gesellschaft eins nach dem anderen zu lösen, glauben wir den Leuten, die behaupten, dass mit der Lösung der Migrationsfrage (und zwar am liebsten durch faktische Abschaffung von Migration) auch alle anderen Probleme einfach verschwinden würden - genau das steckt nämlich hinter Seehofers "Mutter aller Probleme"...

Die Ausfälle anderer Politiker*innen können Ihnen natürlich nicht zur Last gelegt werden. Eins müssen aber auch Sie sich fragen: Wem ist damit geholfen, wenn noch eine Spitzenpolitikerin mehr die Migration zur bestimmenden Frage erklärt, indem sie auf die Forderungen derjenigen eingeht, die schon seit Jahren Alarmismus und Panikmache betreiben? Nicht, dass nicht auch über Migration geredet werden muss - genau das wurde ja in den letzten Jahren auf internationaler Ebene gemacht, das Ergebnis ist der UN-Migrationspakt. Wenn Sie aber im Kontext der Forderungen von Jens Spahn und der "nicht so gemeinten" Vorschläge von Friedrich Merz jetzt als erste Amtshandlung das Thema Migration auf die Bühne hieven, geben Sie der Diskussion nicht nur einen Stellenwert, den sie momentan nicht hat, sondern auch eine deutliche Schlagseite in Richtung einer rechten Angst vor Migration mit auf den Weg. Diese Angst vor Nachteilen durch Migration, die in Teilen der Bevölkerung herrscht - sie hat auch hier ihren Ursprung.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

tagesschau.de: Merkel Paroli bieten, "wo es notwendig ist"
faz.net: Saarländische Ministerpräsidentin weiterhin gegen "Ehe für alle"

Bildquelle:

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/1/1b/Kramp-Karrenbauer_CDU_Parteitag_2014_by_Olaf_Kosinsky-24.jpg/1024px-Kramp-Karrenbauer_CDU_Parteitag_2014_by_Olaf_Kosinsky-24.jpg
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en
Foto von Olaf Kosinsky