Samstag, 22. Dezember 2018

Sehr geehrter Herr Reul,

©
Land NRW / R. Sondermann
ich weiß nicht genau, ob Sie sich selbst oder der Öffentlichkeit gegenüber unehrlich sind, aber die Scheinheiligkeit und Verlogenheit, mit der Sie gerade allen Ernstes versuchen, Klima- und Umweltaktivist*innen in Sachen Gefahrenpotential mit Rechtsextremen auf eine Stufe zu stellen und so die Angst vor dem Linksextremismus hochzupushen spottet jeder Beschreibung.Haben Sie sich mal selber zugehört?

Ich weiß ja, dass es in Ihrer Partei zum guten Ton gehört, gegen alles, was sich politisch links der Gerhard-Schröder-Version von Sozialdemokratie einordnet, zu wettern was das Zeug hält. Politisches Engagement außerhalb der CDU ist ohnehin schon anrüchig, außerhalb der Parteien bewegt man sich als Aktivist*in dann in Unionswahrnehmung offenbar schon auf der Grenze zur Illegalität. Demonstrationen werden eher als Umsturzversuche gedeutet, denn als legitimer (und grundgesetzlich geschützter) Ausdruck demokratischer Willensbildung und -bekundung. Insofern verwundert es eigentlich nicht, dass ziviler Ungehorsam Ihnen den Schweiß auf die Stirn (und die Einsatzkräfte in den Wald) treibt. Bei aller wohlverstandener Kurzatmigkeit eines Mannes, der in einer Partei sozialisiert wurde, in der Umweltschützer*innen in Baumhäusern offenbar mehr Grund zur Besorgnis bieten, als 14 Brand- und Sprengstoffdelikte mit rechtsextremem Hintergrund im Jahr 2017 (Zahl bezieht sich natürlich auf NRW) in Verbindung mit immer weiter gehenden Enthüllungen rund um rechtsextreme Netzwerke in und um Polizei und Bundeswehr, finde ich doch, dass Sie bei Ihrem Feldzug gegen den Linksextremismus gewisse Grenzen einhalten sollten. So war die Aktion, im Vorfeld der Räumung des Hambacher Walds Waffen zu bräsentieren, die dort beschlagnahmt wurden, dabei aber unerwähnt zu lassen, dass diese Waffen zum weit überwiegenden Teil bereits mehr als zwei Jahre in der Asservatenkammer verbracht haben, ein Beispiel für außerordentlich unverschämte Meinungsmache durch Irreführung der Öffentlichkeit.

Eine weitere Propagandaaktion ähnlichen Kallibers stellt das von Ihnen angekündigte Aussteigerprogramm für Linksextreme ("left") dar.
Wie üblich geht es Ihnen natürlich laut eigener Darstellung nicht um die Diskreditierung der linken Szene. Vielmehr soll Extremismus in jeder Form bekämpft werden, was bedeutet, dass unabhängig von der politischen Richtung auch die gleichen Mittel zum Einsatz kommen. So weit die auf den ersten Blick einleuchtende CDU-Logik.
Auf den zweiten Blick sieht das Ganze aber schon gar nicht mehr so logisch aus: Vor allem die Sinnhaftigkeit eines Ausstiegsprogramms aus der linksextremen Szene muss stark bezweifelt werden, noch viel mehr sogar, wenn nach Ihrer Definition die Demonstrant*innen für Klimaschutz und Kohleausstieg zum linksextremen Spektrum gerechnet werden. In diesen Kreisen ist es nach allgemeiner Erkenntnislage bislang noch üblich, dass wer aussteigen will einfach aussteigt. Ende Gelände mobilisiert bundesweit Menschen zu Tagebaubesetzungen und Ähnlichem - von der Verfolgung ehemaliger Mitglieder, wie es sie bei Aussteiger*innen aus der rechtsextremen Szene gibt, habe ich bisher noch nichts gehört. Wenn Ihnen also diesbezüglich Erkenntnisse vorliegen sollten, wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, um sie öffentlich zu machen - inklusive Beweislage, versteht sich. Ein Aussteigerprogramm zu gründen, ohne den leisesten Hinweis darauf, dass es Leute geben könnte, die Probleme mit dem Ausstieg haben, ist jedoch kaum zielführend. Sie setzen hier Extremismus mit Extremismus gleich und gehen daher davon aus, dass alle Maßnahmen, die sich beim Umgang mit der rechtsextremen Szene als nötig erwiesen haben, auch bei der linksextremen Szene Sinn machen. Das zeugt von einer unzureichenden Kenntnis der Sachlage und einer undifferenzierten Bewertung der Situation.

Die logisch folgende Frage: Wofür ist das ganze Programm gut, wenn es schon zur Bekämpfung des Linksextremismus nichts taugt? Die Antwort, die sich aufdrängt: Es handelt sich um ein reines Propagandainstrument. Der Rechtsextremismus, der Ihrer Partei im politishen Spektrum ja eher näher ist als der von links, lässt sich nicht gut zur Diskreditierung der politischen Gegner*innen gebrauchen. Mit Linksextremismus lässt sich auf jeden Fall die Linke, wenn man Klimaschutzaktivist*innen dazunimmt auch auf jeden Fall die Grünen assoziieren. Das Problem: In dem Bereich wurden seit der RAF keine Terrorzellen mehr entdeckt, keine paramilitärischen Einheiten und keine Verschwörungen zur Ermordung von Politiker*innen. Ein paar Autos haben gebrannt, aber keine Häuser, in denen Menschen schliefen. Es wurde sich mit Polizisten geprügelt, aber sie wurden nicht erschossen.
Linksextremismus als das größere Problem unserer Gesellschaft darzustellen macht also Arbeit, aber für diese Arbeit sind Sie sich nicht zu schade. Genau so ist auch das Programm "left" zu verstehen: Es soll der Eindruck vermittelt werden, dass die linksextreme Szene im Wesentlichen ein Spiegelbild der rechtsextremen Szene sei, mit den gleichen Problemen, der gleichen sektenhaften Mitgliederbindung und natürlich dem gleichen Gewaltpotential. Dass Ihre Vorstellung von Linksextremismus dabei offenbar alles umfasst, was sich traut, außerhalb eines Parlaments eine Meinung zu vertreten (und kein Nazi ist), kommt weniger daher, dass diese Leute sich tatsächlich so extrem links positionieren. Vielmehr definieren Sie die gesellschaftliche Mitte so weit nach rechts, dass der Linksextremismus schon in der in weiten Teilen vergutbürgerlichten SPD beginnt, die kaum ein*e Linke*r noch als "links" bezeichnen würde - geschweige denn als "extrem"...

Herr Reul, Sie betreiben hier Wahlkampf und Imagepflege auf Kosten einer ausgewogenen Information der Bevölkerung. Das ist nicht das, was die meisten Menschen von ihrem Innenminister erwarten - wenn Sie nicht in der Lage sind, reale Bedrohungen und ihre Ideologie auseinanderzuhalten, geben Sie Ihr Amt lieber auf.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

rp-online.de: Zehn rechtsradikale Straftaten pro Tag
blog.wdr.de: Die Wahrheit über die Waffen der Waldbesetzer
taz.de: Klimaschützer bekehren

Bildquelle:

https://www.land.nrw/sites/default/files/styles/video_preview_image_big_960x540/public/assets/images/rso171127-01-086_foto_land_nrw_r._sondermann.jpg?itok=jmv-f1iC

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen