Sonntag, 20. Januar 2019

Sehr geehrter Herr Scheuer,

"zufrieden" zeigten Sie sich mit den Maßnahmen, die der Bahn-Vorstand Ihnen am Donnerstag zur Lösung der anhaltenden Probleme im Schienenverkehr vorgelegt hat. Die Pünktlichkeit der Bahn soll sich um 1,6 Prozentpunkte auf 76,5 Prozent verbessern. Dafür will die Bahn mehr Personal einstellen, Reparaturen beschleunigen und Züge nachkaufen.

Dass Sie mit dem Ergebnis Ihrer Unterredung mit den Bahn-Chefs keinesfalls zufrieden sein können, ist aus mehreren Gründen offensichtlich. Erstens waren die präsentierten Maßnahmen dem Vernehmen nach sowieso geplant. Sie sind also nicht unbedingt als Erfolg Ihres beherzten Eingreifens zu betrachten. Zweitens sind die dargelegten Ziele nicht gerade das, was man gemeinhin als ambitioniert bezeichnen würde. Dass der Ehrgeiz in Sachen Pünktlichkeit nicht weiter reicht, als bis zu dem Punkt, an dem wieder knapp mehr als drei Viertel der Fernverkehrszüge pünktlich (also mit weniger als 6 Minuten Verspätung) abfahren, sollte uns Sorgen machen. Eigentlich waren mal 80 Prozent der Richtwert und selbst das wird in manchen anderen Ländern mit einer solchen Selbstverständlichkeit überboten, dass die Frage, warum wir das nicht packen, nicht nur der Form halber gestellt, sondern auch endlich beantwortet gehört.

Der dritte Grund, warum die Äußerung Ihrer Zufriedenheit hier vollkommen fehl am Platze ist, Herr Verkehrsminister, ist das, was der Bundesrechnungshof wenig später zur Bahnpolitik des Bundes verlautbaren ließ: Auf ganzer Linie gescheitert, so der Tenor. Obwohl die Bahn Jahr für Jahr große Summen aus dem Bundeshaushalt erhält, wird sie der Funktion, die ihr zugedacht ist, nämlich für eine verlässliche und attraktive Mobilität der Bürger*innen zu sorgen, nicht gerecht. Der Anteil des Verkehrs auf der Schiene sinkt, obwohl schon seit Jahrzehnten beteuert wird, man wolle ihn erhöhen. Die Infrastruktur wird schlechter, das Angebot auch. Welche Funktion soll denn die Deutsche Bahn noch erfüllen, wenn man sich auf sie nicht verlassen kann und immer mehr Strecken nicht mehr gefahren werden? Stattdessen wird das Auslandsgeschäft ausgebaut - dabei hat die Bundesregierung den grundgesetzlichen Auftrag, sowohl den Ausbau als auch das Angebot ihrer Bahn hier im Land am Gemeinwohl auszurichten. Dabei helfen keine ausländischen Tochtergesellschaften, deren Gewinn auch im Ausland reinvestiert wird!

Das Problem, das möchte ich hier noch einmal klarstellen, ist nicht, dass die DB defizitär wirtschaftet. Das Problem ist, dass dadurch im Augenblick kein ausreichender Vorteil für die Bürger*innen entsteht. Einen bundeseigenen Mobilitätsdienstleister zu einem großen Teil aus Steuermitteln zu finanzieren kann gerechtfertigt sein, wenn seine Mobilitätsangebote dadurch für alle Menschen zugänglich sind. Steuergeld ist Geld, das für das gemeinsame Wohl, für das Wohl der Gemeinschaft gegeben wird. Daher ist es richtig, es für solidarische Projekte auszugeben - genau so ist es konzipiert. Wenn aber diese solidarischen Projekte nicht zuverlässig funktionieren, wird das Geld der Bürger*innen zum Fenster hinausgeschmissen. Das hat der Bundesrechnungshof offenbar erkannt und Ihnen und Ihren Vorgängern im Amt des Verkehrsministers eine unterirdische Performance bescheinigt. Daraus darf jetzt aber nicht folgen, dass an der Bahn gespart werden muss, bis sie tatsächlich nicht mehr die Ressourcen hat, sich zu bessern. Wir wollen eine Bahn, auch gerne eine, die teuer ist - wir wollen aber auch, dass sie dann ordentlich funktioniert.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

spiegel.de/dpa: Nach dem Raport ist vor dem Raport
taz.de: Rechnungshof watscht Scheuer ab

Bildquelle:

https://www.csu.de/common/scheuer/Andreas_Scheuer_3.jpg

Montag, 7. Januar 2019

Sehr geehrter Herr Scholz,

schön, dass Sie sich das Amt des Bundeskanzlers zutrauen. Aber die Info hätten Sie auch ruhig für sich behalten können. Wie Sie selbst es im selben Interview so treffend formulierten: "Weder bei der Union noch bei uns steht diese Frage heute aber an". Das wäre die perfekte Antwort auf die Frage nach Wahl und Kanzlerschaft gewesen. Ohne alles, was Sie vorher dazu gesagt haben...

"Die SPD will den nächsten Kanzler stellen" - da fängt es doch schon an. Die SPD kann viel wollen, aber angesichts von Umfragewerten von 14-16 Prozent ist der Einzug eines SPD-Mitglieds ins Kanzleramt im Augenblick als utopisch zu bezeichnen. Die Ankündigung, den nächsten Kanzler (von einer Kanzlerin ist bei Ihnen nicht die Rede...) stellen zu wollen, überzeugt noch niemanden, SPD zu wählen. Sie scheinen da die Reihenfolge zu verwechseln - gute Wahlergebnisse (oder Umfragewerte) begründen den Anspruch aufs Kanzleramt, nicht andersherum. Wenn es so einfach wäre, würden sich Wahlkämpfe darauf beschränken, dass sich die Spitzenkandidierenden gegenseitig versichern, wie gern sie Kanzler*in wären.
Sie müssen also zunächst einmal eine Menge Leute davon überzeugen, Sie zu wählen. Der seriöse Weg dazu wäre, eine verlässliche Vorstellung von guter Politik zu entwickeln und diese im öffentlichen Diskurs mit anderen Parteien und gesellschaftlichen Akteur*innen zu vertreten. Wenn der SPD an dieser Stelle allerdings nur einfällt, dass sie "den nächsten Kanzler stellen" will, ist die größte Gefahr, dass die Menschen ihr diese Zielsetzung abnehmen - im Wortsinn. Die Union, so hört man dann (in geradezu krimineller Verkürzung und klischeeisierung der Wahlprogramme), will Sicherheit, die FDP will Freiheit, die Grünen wollen Umweltschutz, die Linke will Gerechtigkeit - die SPD aber will den Kanzler stellen. Wie viel weniger Visionär kann man rüberkommen?

Und auch über Ihre persönlichen Ambitionen kann man noch das eine oder andere Wort verlieren. Auch wenn Sie Ihre Aussagen gleich wieder relativiert haben, indem Sie darauf hinwiesen, dass das Thema Kanzlerschaft im Moment nicht auf der Tagesordnung stünde, die Ansage war deutlich: Sie wollen Kanzler werden, zunächst also Kanzlerkandidat Ihrer Partei. Dieser Anspruch kommt für die SPD zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Erstens macht man sich als 15-Prozent-Partei mit Kanzleramtsambitionen eher lächerlich, zweitens gibt es bereits genug Konflikte bei den Sozialdemokraten. Niemand hat Bedarf an einer völlig verfrühten Debatte über die Kanzlerkandidatur. Mit Ihren Äußerungen betreiben Sie nur die weitere Spaltung der SPD - schließlich begründen Sie Ihre Bereitschaft zur Kandidatur mit einem Verweis auf Annegret Kramp-Karrenbauer, die neue CDU-Chefin. Deren Pendant in der SPD sind aber nicht Sie, sondern Andrea Nahles, die Sie in Ihre Zukunftsvisionen nicht einbeziehen. Was meinen Sie, wie sich das auf Ihr Verhältnis zu Ihrer Parteichefin auswirkt?

Nun gut, vielleicht sollte man den Fall aber auch nicht überbewerten. Schließlich kann sich momentan kaum jemand vorstellen, dass Sie es tatsächlich zum Kanzler bringen. Dafür steht die SPD zu schlecht da. Bei der Frage, ob Sie zumindest Kanzlerkandidat werden, geben Sie sich selbstbewusst und verweisen auf gute Zustimmungswerte in der Bevölkerung. Auch hier halte ich jedoch Vorsicht für angebracht - auch Martin Schulz hatte mal exzelente Beliebtheitswerte - und Sie haben bis zur Wahl sogar noch viel mehr Zeit als er, um alles ins Gegenteil zu verkehren. Mein Vorschlag: Finanzminister ist ein verantwortungsvoller Job. Erledigen Sie den erstmal einigermaßen zufriedenstellend, dann lässt Ihre Partei vielleicht auch in Sachen Kandidatur mit sich reden - ein paar Monate vor der Wahl, nicht ein paar Jahre.

Mit freundlichen Grüßen

HG


Der Hintergrund:

zeit.de: Olaf Scholz hält sich für aussichtsreichen Kanzlerkandidaten
welt.de: Scholz will die Kanzlerkandidatur. Will die SPD Scholz?

Bildquelle:

https://www.olafscholz.de/media/public/db/media/1/2011/01/207/olaf_scholz_2011_01.jpg