Freitag, 25. Mai 2018

Sehr geehrter Herr Haseloff,

seien wir mal ehrlich: Ministerpräsident ist nicht so Ihr Ding. Jedenfalls nicht CDU-Ministerpräsident einer Kenia-Koalition. Schon seit Monaten gibt es nichts als Stunk um das ungewöhnliche Regierungsbündnis im Landtag von Sachsen-Anhalt. Besonders CDU und Grüne finden immer wieder Grund zum Streiten.

Der jüngste Anlass ist ein Paradebeispiel dafür, wie so ein Streit entsteht. Wie Sie sicher ahnen geht es um den Versuch, einen neuen Datenschutzbeauftragten für Sachsen-Anhalt zu wählen. Nils Leopold hatte sich zur Wahl gestellt, ein Mensch, dessen fachliche Qualifikation über jeden Zweifel erhaben ist - nur dass er für einige CDUler*innen wohl der falschen Partei angehört: Er ist ein Grüner.
Aber von Anfang an: Harald von Bose, aktueller Landesdatenschutzbeauftragter, will aufhören. Eine Nachfolge muss her. Leopold bewirbt sich, die Regierungskoalition (auch Sie als Ministerpräsident) spricht sich für ihn aus. Soweit, so gut.

Jetzt kommt der traurige Teil. Über den Landesdateschutzbeauftragten muss der Landtag abstimmen. Benötigt wird eine Zweidrittelmehrheit. Die Linke signalisiert Bereitschaft, den Kandidaten zu unterstützen, es folgt die Abstimmung - und er fällt durch. Große Aufregung, panische Ursachensuche, zweite Abstimmung - abermals keine Zweidrittelmehrheit. Nachdem Sie, Herr Haseloff, sich etwas Zeit genommen haben, um Ihre als rebellisch bekannte CDU-Fraktion auf ein gemeinsames Votum pro Leopold einzuschwören folgte gestern der dritte Versuch - mit dem altbekannten Ergebnis.
48 von 83 gültigen Stimmen wurden für Leopold abgegeben. Das ist eine einfache Mehrheit, aber für die Zweidrittelmehrheit reicht es nicht. Dass die AfD geschlossen gegen den Grünen stimmen würde, war mehr oder weniger klar. Die Linke hingegen hat sich gemeinsam mit den anderen Fraktionen im Vorfeld öffentlich dazu bekannt, den Kandidaten zu unterstützen. Die Stimmen hätten also bequem reichen müssen. Was ist schief gelaufen?

Es liegt nahe, anzunehmen, dass es wieder eine Gruppe von Abweichler*innen aus der CDU war, die die Wahl gekippt hat. Schließlich gab es in Ihrer Partei schon früher Tendenzen, lieber mal für einen Antrag der AfD zu stimmen (wie bei der Einsetzung einer Enquete-Kommission zur Untersuchung von Linksextremismus) und dem lästigen Fünf-Prozent-Koalitionspartner möglichst oft in die Parade zu fahren. Besonders interessant: Fachliche Einwände gab es keine. Niemand aus der CDU (und auch sonst keine*r) hat irgendwelche Zweifel an der Eignung von Nils Leopold für das Amt des Landesdatenschutzbeauftragten angemeldet - es wurde einfach nur dagegen gestimmt.

Hier liegt auch der wahre Kern des Problems. Klar kann man Ihnen, Herr Haseloff, jetzt Führungsschwäche vorwerfen. Es ist Ihr Job, Mehrheiten zu organisieren, und Sie sind daran zum wiederholten Male gescheitert - mit einiger Wahrscheinlichkeit sogar an Ihrer eigenen Partei, was die ganze Sache noch peinlicher macht. Noch schlimmer ist aber, dass Sie offensichtlich selbst davon überrascht waren, wie die Abstimmung ausgegangen ist. Es ist Ihnen also nicht nur misslungen, Ihre Parteifreunde von einem gemeinsamen Vorgehen zu überzeugen, sondern auch, überhaupt genügend Einblick in die eigene Partei zu erhalten, um deren Stimmverhalten richtig einzuschätzen. Die Konflikte innerhalb der CDU waren bekannt - aber Sie haben offenbar nicht einmal einen ersten Schritt unternommen, um diese Konflikte aus der Welt zu schaffen. Dieser erste Schritt wäre ein offenes Gespräch innerhalb Ihrer Fraktion gewesen, bei der jede*r ohne Angst vor möglichen Nachteilen sagen kann, was er oder sie gegen Herrn Leopold vorzubringen hat. Erst auf dieser Grundlage kann ein Austausch darüber entstehen, welche Alternativen es (nicht) gibt und warum vielleicht auch ausgeprägte Grünenhasser und AfD-Freunde sich noch einmal überlegen sollten, ob sie nicht im Interesse des Landes doch für eine ungeliebte Option stimmen sollten. In unserem Fall ist ab heute die neue Datenschutzgrundverordnung der EU wirksam, die in Sachen Datenschutz relativ weitreichende Forderungen stellt. Sachsen-Anhalt steht dieser Herausforderung nun ohne gewählten obersten Datenschützer gegenüber. War das der Sinn der Aktion? Wohl kaum.

Die Kommunikation, die Debatte und Lösugsfindung innerhalb der CDU funktioniert nicht. Das ist das eigentliche Problem. Na gut, eins der Probleme. CDU-Abgeordnete mit deutlicher AfD-Affinität sollte man vielleicht auch nicht ganz außen vor lassen, wenn man über die Schwierigkeiten der Sachsen-Anhaltischen CDU spricht.

Wie dem auch sei: Das ist Ihr Job. Sie sind Ministerpräsident und müssen die Koalition handlungsfähig halten. Dass Sie dabei momentan mehr Probleme mit der eigenen Fraktion haben, als mit denen der Koalitionspartnerinnen, ist nicht mehr als eine amüsante Randerscheinung. Der Anspruch bleibt: Lösen Sie das Problem! Wenn Ihnen das in den doch äußerst herausfordernden Verhältnissen in Sachsen-Anhalt zu viel verlangt ist, treten Sie zurück. Vielleicht schafft ein*e andere*r, was Sie offenbar nicht auf die Reihe kriegen.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund: 

spiegel.de: "Wir brauchen jetzt erstmal eine Denkpause"
mdr.de: Leopold fällt wieder als Datenschutzbeauftragter durch

Bildquelle:

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/74/Reiner_Haseloff_%28Martin_Rulsch%29_09.jpg
(c) Martin Rulsch, Wikimedia Commons, CC-by-sa 4.0

Freitag, 11. Mai 2018

Sehr geehrter Herr Kuffer,

Zahlen sind etwas tolles, wenn man Wahrheit und Objektivität behaupten will. Wie sehr aber auch "klare Fakten" interpretationsbedürftig sind beweist Ihre Aussage zu den Demonstrationen gegen das neue bayerische Polizeiaufgabengesetz (PAG), dass Ihre CSU am Dienstag durch den Landtag bringen will. 30.000 Menschen (Polizeiangabe, die Veranstalter*innen sprechen von über 40.000) haben gestern gegen das PAG demonstriert, weil ihnen die Befugnisse und Interpretationsspielräume, die die Polizei dadurch erhalten soll, zu weit gehen. Mindestens 30.000 Leute - eine riesige Menschenmenge, die Sie wahrscheilich ohne lange zu überlegen als "die Bayern" oder "die Deutschen" bezeichnet hätten, wenn sie sich in dieser Zahl auf einer Soli-Kundgebung für Markus Söders Kreuz-Zug durch die bayerischen Behörden eingefunden hätten. Da sich diese Menschen aber im Gegenteil gegen eine Maßnahme der Söder-CSU ausgesprochen haben, fällt Ihnen in einem Tweet nur folgendes dazu ein:
"0,3 Prozent der Wahlberechtigten in Bayern demonstrieren gegen das neue Polizeiaufgabengesetz. Das ist respektabel und deren gutes Recht. Aber es zeigt auch, dass die Bayern fast vollständig geschlossen hinter unserer konsequenten Sicherheitspolitik und dem neuen PAG stehen."

Da haben wir sie, die klaren Fakten. 0,3 Prozent demonstrieren gegen das PAG - bleiben also 99,7 Prozent, die voll hinter dem Gesetz stehen. Noch Fragen?
Wie hirnrissig diese Rechnung ist, dürfte den meisten Menschen schon bei der ersten Betrachtung auffallen. Es handelt sich also nicht einmal um eine gute Täuschung: 0,3 Prozent der Bevölkerung demonstrieren. Der Rest spricht sich aber nicht FÜR das Gesetz aus. Er äußert sich einfach nicht dazu. 30.000 Menschen auf der Straße zeigen, dass es eine relativ große Gruppe von Menschen gibt, die dem PAG so kritisch gegenüberstehen, dass es ihnen die Zeit und den Aufwand wert ist, bei einer Demo mitzumachen und dafür gegebenenfalls noch bis nach München zu fahren - teils auch aus ganz anderen Bundesländern, was den Vergleich zu Zahl der bayerischen Wahlberechtigten schon mal völlig sinnlos macht (zumal keiner gesagt hat, dass alle Demonstrierenden wahlberechtigt waren...).
Der eigentliche Kritikpunkt an Ihrer Aussage bleibt aber, dass Sie mehr als 99 Prozent der Menschen in Bayern eine politische Meinung zuschreiben, die diese Menschen nie geäußert haben. Um die Pegida-Demonstrationen wurde ein riesiges Theater gemacht, dabei waren sie auf ihrem Höhepunkt kleiner, als die Demo gegen das PAG. Es dürfte in der Geschichte der Bundesrepublik - und auch in der der DDR - kaum Demonstrationen gegeben haben, bei denen tatsächlich eine Mehrheit der wahlberechtigten Bevölkerung gleichzeitig auf der Straße war. Das scheint aber Ihre Erwartung an eine als Meinungsäußerung ernstzunehmende Demonstration zu sein. Fünf Millionen Leute hätten demzufolge durch München ziehen müssen - plus all die, die (noch) nicht wahlberechtigt sind. Merken Sie nicht selbst, wie unsinnig diese Vorstellung ist?

Eine Demonstration zeigt nicht eins zu eins die Mehrheitsverhältnisse, die in der Meinung zu einer bestimmten Frage herrschen. Sie zeigt die Mobilisierungskraft, die eine Frage entfaltet. Demzufolge sollte man sie nicht zur Bevölkerungszahl oder zur Zahl der Wahlberechtigten in Beziehung setzen, sondern zur Zahl der Teilnehmenden auf anderen Demonstrationen. Will man hingegen die Unterstützung von Pro- und Contrapositionen vergleichen, so kann man entweder eine Extra-pro-PAG-Demo veranstalten und dann die Zahl der Teilnehmenden mit der der Anti-PAG-Demo in Beziehung setzen, oder - wenn es einem nicht um die Mobilisierungskraft sondern tatsächlich um Mehrheiten geht - man veranstaltet eine möglichst repräsentative Umfrage. Das Ergebnis würde mich interessieren. Glauben Sie, dass es Ihre 0,3-zu-99,7-Prozent-These stützen würde?

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

br.de: Herrmann wirft PAG-Gegnern "Lügenpropaganda" vor
sz.de: Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Polizeigesetz

Bildquelle:

http://bundestag2017-kuffer.de/wp-content/uploads/2017/08/kuffer-vor-ort-titel.jpg?id=203

Freitag, 4. Mai 2018

Sehr geehrte Frau Kramp-Karrenbauer,

mir ist schon klar, dass Sie als CDU-Generalsekretärin ein Herz für die Bundeswehr haben (müssen). Von daher ist es nicht verwunderlich, dass Sie sich auch in der aktuellen Debatte um die Teilnahme der Bundeswehr an der Internet-Konferenz re:publica auf die Seite der Streitkräfte stellen. Hier trotzdem ein paar Gedanken zu Ihrer Äußerung auf Twitter und zu der ganzen Bundeswehr-re:publica-Sache an sich:

1. Wer eine solche Konferenz veranstaltet und nicht rechtlich dazu verpflichtet ist, bestimmte gesellschaftliche Akteure zu berücksichtigen, entscheidet zunächst einmal selbst, wen er oder sie einlädt. Wenn sich die Veranstalter*innen der re:publica als Pazifist*innen und ihre Veranstaltung als pazifistische Veranstaltung verstehen, dann ist die Entscheidung, das Militär nicht einzuladen, zunächst einmal nachvollziehbar. Zugegeben, sie ist nicht zwingend. Die Veranstalter*innen hätten zum Beispiel auch die ganze re:publica unter ein entsprechendes Motto stellen und Dialog und Debatte mit der Bundeswehr zum Mittelpunkt erklären können. Einfach nur einen Stand zu genehmigen und die Bundeswehr da ihr Ding machen zu lassen wäre der Haltung und dem Selbstverständnis der re:publica aber nicht gerecht geworden.

2. Ihre Bemerkung, die Ausladung der Bundeswehr sei "schlechter Stil gegenüber unseren Soldatinnen und Soldaten" liest sich so, als würden hier Menschen aufgrund ihres Berufs benachteiligt. Das ist aber nicht der Fall. Auch Soldat*innen können die re:publica ganz normal besuchen - in zivil. Auch der viel zitierte Kaninchenzüchterverband hat keinen Stand auf der re:publica, ohne dass dadurch der einzelne Kaninchenzüchter ausgeschlossen wäre. Lediglich der Bundeswehr als Institution wurde der Zutritt versagt. Was die einzelnen Soldat*innen davon haben könnten, wenn ihre Arbeitgeberin auf der re:publica einen Stand hat (bzw. was ihnen weggenommen wird, wenn sie dort keinen hat), ist mir nicht so ganz klar.

3. Die Reaktion der Bundeswehr, die ja als lässige Retourkutsche rüberkommen soll, ist es wert, nochmal überdacht zu werden. Zunächst einmal kommt mir die Sache nicht cool und souverän, sondern irgendwie albern vor. Die Bundeswehr tut so, als habe sie ein Recht darauf, auf der re:publica mit einem Stand vertreten zu sein und stilisiert sich zum Opfer der parteiischen Entscheidungen der an dieser Stelle übermächtigen Veranstalter*innen. Der eine oder die andere mag auf den Gedanken kommen, dass hier einfach jemand beleidigt ist, weil Leute aufgetaucht sind, die nicht gleich springen, sobald die Bundeswehr Wünsche äußert (wie etwa all die Leute, die meinen, Jahr für Jahr neue Millliarden in die Rüstung stecken zu müssen, weil die Armee ja so schlecht ausgerüstet ist - ohne zu fragen, ob das alles nicht viel billiger ginge, wenn man gleich Equipment kaufen würde, das nachweislich funktioniert).

Wie auch immer man diesen Punkt auch betrachten mag, auffällig bleibt, dass die Bundeswehr Steuermittel für eine Kampagne gegen die Veranstalter*innen der re:publica ausgibt. Nochmal: Staatlicher Akteur finanziert aus staatlichen Mitteln eine Werbekampagne gegen einen zivilgesellschaftlichen Akteur - nicht etwa, weil dieser Recht gebrochen oder damit gedroht hätte (dann gäbe es auch wirksamere Mittel als das Verteilen von Flyern), sondern weil er auf einer von ihm organisierten Veranstaltung Regeln für die Teilnahme aufstellt, die dem staatlichen Akteur nicht passen. Geht's noch? Wenn dann noch die Social-Media-Angestellten der Bundeswehr den Shitstorm pushen, indem sie die Verunglimpfung der re:publica-Organisator*innen als "Vaterlandslose Gesellen" per Kommentar ermutigen und die Forderung "Rotten weise [sic! ;)] von vorne in das Gebäude eindringen" gegen Kritik verteidigen, dann zieht auch die Behauptung nicht mehr, die Bundeswehr sichere die Meinungsfreiheit, auch, damit man sich gegen sie aussprechen könne. Wer als staatlicher Akteur zu solchen Maßnahmen greift, um den eigenen Willen (Achtung! Nicht: "die eigenen Rechte") gegenüber einer zivilgesellschaftlichen Gruppierung durchzusetzen, der sollte Worte wie "Meinungsfreiheit" vielleicht nicht ganz so selbstbewusst herausposaunen. Und Sie, Frau Kramp-Karrenbauer, sollten sich eventuell mal überlegen, ob die Bundeswehr tatsächlich immer Recht hat, nur weil sie die Bundeswehr ist.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

deutschlandfunkkultur.de: Guerilla-Aktion der Bundeswehr löst eine Debatte aus
taz.de: Wir. Dienen. Digitaldeutschland.

Bildquelle:

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/1/1b/Kramp-Karrenbauer_CDU_Parteitag_2014_by_Olaf_Kosinsky-24.jpg/1024px-Kramp-Karrenbauer_CDU_Parteitag_2014_by_Olaf_Kosinsky-24.jpg
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en
Foto von Olaf Kosinsky