Freitag, 10. Mai 2019

Sehr geehrte Frau Merkel,

wo ist sie hin, die "Klimakanzlerin"? Kaum gibt es Generationen- und Länderübergreifend Rückenwind für Klimaschutzmaßnahmen, da hat sie sich offenbar in Luft aufgelöst. Nicht, dass das nicht schon lange erkennbar gewesen wäre. Unter Ihrer Kanzlerinnenschaft ruht sich Deutschland seit Jahren auf seinem Klimaschutz-Vorreiter-Image aus und verpasst dabei alle selbst gesteckten Ziele. Auf dem Gipfel in Sibiu in Rumänien wurde die Sache aber noch einmal sehr deutlich.

Die Fridays-for-Future-Demos zeigen Wirkung, das kann man schon mal festhalten. Das Klima ist noch nicht gerettet, bei Weitem nicht, aber das Thema beschäftigt die europäischen Regierungs- und Staatschefs endlich wieder. Na gut, einige von ihnen. Beim Gipfel in Sibiu stand der Klimaschutz nicht sehr weit vorn auf der Tagesordnung. Trotzdem ist es positiv zu bewerten, dass der französische Staatspräsident Emmanuel Macron jetzt ein klimaneutrales Europa bis 2050 fordert und dass neben Frankreich auch die Regierungen von Belgien, Luxemburg, Dänemark, den Niederlanden, Portugal, Spanien, Schweden und neuerdings Lettland ein entsprechendes Papier unterzeichnet haben. Warum ich diese neun der 28 EU-Länder aufzähle? Um deutlich zu machen, wer fehlt. Wir fehlen. Deutschland fehlt. Ihre Regierung fehlt in der Reihe derer, die sich zumindest dafür aussprechen, das in unserer Macht stehende zu tun, um den Planeten nochmal zusammenzuflicken. Ich weiß, er ist alt und schon ein bisschen schrumpelig, aber - so abgedroschen die Feststellung auch ist - wir haben keinen anderen.

Draußen vor den Türen stehen also junge Menschen aus allen möglichen europäischen Ländern und fordern von Ihnen und den anderen Staats- und Regierungschef*innen der EU, wirksamen Klimaschutz in die Leitlinien für die Entwicklung der Union bis 2024 aufzunehmen. Und was tun Sie? Faseln davon, ein klimaneutrales Europa 2050 ließe sich nicht mit den deutschen Klimazielen vereinbaren. Was soll das? Sie müssen ohnehin umplanen, was den Umgang mit dem Klimawandel angeht, denn so wie es jetzt aussieht, werden wir auch die deutschen Klimaziele krachend verfehlen. Hinzu kommt, dass immer schon klar war, dass die deutschen Klimaziele nicht ausreichen, um unseren Beitrag zum Stoppen der Klimakatatrophe beizutragen. Gegen mehr Engagement und schärfere Klimaziele wurde immer wieder vorgebracht, das mache als Einzelstaat keinen Sinn und alle müssten gemeinsam handeln, um tatsächlich etwas zu erreichen. Jetzt fangen die europäischen Staaten an, gemeinsam zu handeln - und Deutschland will nicht mitmachen!

Wir brauchen schnelle, entschlossene Maßnahmen, um die Klimakatastrophe noch aufzuhalten und wir brauchen sie - das stimmt schon - in möglichst allen Ländern der Erde. Darauf zu warten, dass die entsprechenden Ansätze in allen Ländern der Erde gleichzeitig entstehen, wäre allerdings gleichbedeutend mit einer Kapitulation. Ein Europa, das in den nächsten 30 Jahren klimaneutral wird, würde allerdings nicht nur die weltweiten Emissionen schon mal stärker beeinflussen, als ein einzelnes Land das könnte, es würde auch allen zeigen, dass die Möglichkeiten klimaneutralen Wirtschaftens durchaus gegeben sind. Es würde die Angst vieler Länder mindern, durch eigenes Vorpreschen im Klimaschutz einen Nachteil im internationalen wirtschaftlichen Wettbewerb in Kauf zu nehmen. Europa könnte ein Anfang sein.
Genauso könnte Deutschland gemeinsam mit Frankreich innerhalb Europas ein Anfang sein. Die beiden wirtschaftsstärksten Länder der Union könnten die anderen mitziehen und auch ihre enorme politische Macht innerhalb der EU nutzen, um das Ziel eines klimaneutralen Europas bis 2050 zu erreichen. Immer nur auf das Große zu verweisen, bringt nichts, denn auch das Große muss im Kleinen anfangen. Von Ihnen erwarte, nein fordere ich, dass Sie diesen Anfang machen.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

t-online.de: Merkel will mehr Tempo in der EU - und bremst beim Klima
zdf.de: Eu nach außen einig, innen zerrissen

Bildquelle:

https://www.cdu.de/sites/default/files/media/images/angela_merkel/161206-angela-merkel-pressefoto.jpg

Freitag, 3. Mai 2019

Sehr geehrter Herr Kühnert,

© Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)
heute will ich mal nicht pöbeln, sondern einfach nur danke sagen. Ehrlich! Ich bin ja immer eher misstrauisch, wenn in einer angestaubten Partei wie der SPD, die mich einfach schon öfter enttäuscht als begeistert hat, plötzlich jemand auftaucht, der nach Idealismus, Ehrlichkeit und Neuanfang aussieht. Ich stelle mir dann zwei Fragen: Traue ich dieser Partei eine solche Veränderung, ein Rückbesinnung auf ihren früheren Idealismus zu? Und traue ich diesem Menschen zu, dass er sich durch das brutale Räderwerk der Parteimaschinerie kämpft, ohne hinterher genau dem Standardmodell eines im Grunde meinungslosen Wähler*innenstimmen-Akkumulierungs-Apparats zu entsprechen, gegen den er einst zu Felde gezogen ist?

Ich will ehrlich sein: Bei der ersten Frage bin ich noch nicht sehr optimistisch. Ich kann mir diesen Wandel einfach nicht vorstellen, erst recht nicht, wenn ich sehe, wie verstörend Kapitalismuskritik inzwischen auf Teile der SPD wirkt. Ich muss fairerweise erwähnen, dass es auch Genossen gibt, die Ihnen für Ihr Interview in der Zeit (leider hinter der Paywall, daher nicht verlinkt) den Rücken gestärkt haben. Ich will Ihre Partei daher noch nicht ganz abschreiben, bin aber skeptisch, ob sich die Sozialdemokraten in der SPD (nein, das sind nicht alle Parteimitglieder) irgendwann einmal durchsetzen können. Wir werden sehen.

Bei Frage nummer zwei hingegen tendiere ich gerade immer stärker zu einem "ja". Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bleibe misstrauisch. Nicht, weil ich Ihnen irgendwelche schlechten Absichten unterstellen wollte, sondern weil ich glaube, dass sich ein Wandel vom Idealismus über Pragmatismus hin zur Resignation oft genug schleichend vollzieht, ohne demjenigen, der ihn durchmacht, wirklich bewusst zu sein. Gleichzeitig stelle ich aber fest, dass Sie von der #NoGroKo-Kampagne, mit der sie das erste Mal auf meinem persönlichen Radar aufgetaucht sind, bis heute trotz ziemlich großer medialer Aufmerksamkeit und Kritik nicht nur vom politischen Gegner, sondern auch aus der eigenen Partei, in Ihren Positionen ziemlich konsistent geblieben sind.

Gut, die Zeit vom November 2017 bis heute ist noch gar nicht so lang. Vielleicht schleifen sich politische Einstellungen einfach über größere Zeitabstände ab. Nichtsdestotrotz finde ich es bemerkenswert, dass Sie sich weder der Parteiführung angepasst haben, noch verstummt sind. Sie haben sich nicht einschüchtern lassen und fahren fort, der SPD die Haltung einer linken, einer sozialen Partei abzuverlangen. Was mich außerdem für Sie einnimmt ist, dass mit der großen Bekanntheit, die Sie erlangt haben, meines Wissens keine lautstarken Forderungen nach einer Spitzenposition bei der SPD einhergegangen sind. Derlei Absichten hätten mit Ihrem seit 2017 enorm gestiegenen Bekanntheitsgrad sicherlich Aussicht auf Erfolg gehabt. Nicht, dass ich es Ihnen übel nehmen würde, wenn Sie sich um ein Amt oder einen vorderen Listenplatz bei einer Wahl bewerben würden. Schließlich kann es sinnvoll sein, den eigenen politischen Vorstellungen durch eine einflussreiche Position Nachdruck zu verleihen. Es nimmt mich aber durchaus für Sie ein, dass der Grund für Ihr öffentlichkeitswirksames Engagement offensichtlich nicht in erster Linie die Sicherung eines gutbezahlten Jobs war.

Ich möchte Ihnen also danken. Für Ihr Engagement in der SPD und in unserer Gesellschaft allgemein und ganz konkret für Ihren jüngsten Vorstoß für eine neue Wirtschaftsordnung im Zeit-Interview. Dazu noch ein paar Gedanken:
Erstens ist es grundsätzlich richtig, sich über alternative Möglichkeiten Gedanken zu machen, wie unsere Wirtschaft funktionieren könnte. Das folgt schon allein daraus, dass unser aktuelles System keinesfalls perfekt oder auch nur nahe daran ist, sondern massive Ungleichheit bewirkt - sowohl in unserem Land, als auch global gesehen. Zweitens ist es richtig, dass sich SPD und Jusos mit Möglichkeiten der Vergemeinschaftung beschäftigen, denn von den meisten Fraktionen ist ein solcher Vorstoß nicht zu erwarten und wenn die Linkspartei ihn bringt, wird er von der Hälfte des Bundestages abgelehnt, ohne auch nur die Überschrift zu Ende gelesen zu haben. Wenn also Gedanken wie Ihre in den Parlamenten wie in der Gesellschaft diskutiert werden sollen, ist die Partei gefragt, die den Sozialismus noch im Namen trägt.

Drittens schließlich mögen auch manche grundsätzlich nicht abgeneigten Kommentator*innen Ihre Vorschläge als realitätsfremd ablehnen. Diese Menschen verkennen jedoch den enormen Bedarf an Utopien, der in unserer Gesellschaft herrscht. Dem Konservatismus fehlt es auch darum an Überzeugungskraft, weil er in einer dynamischen Zeit nicht sagen kann, wohin es eigentlich gehen soll. Die Welt verändert sich, das ist Fakt. Wer trotzdem darauf beharrt, im Grunde alles zu lassen, wie es ist, hat diese einfache Tatsache nicht verstanden. Wenn nämlich bekannt ist, dass in ein paar Jahren vieles anders sein wird, als es heute ist, dann muss man sich die Frage gefallen lassen, wie dieser Wandel gestaltet werden soll. Um das zu bestimmen braucht es ein Ziel, auf das man zuarbeiten kann. Ohne Ziel, Leitbild, Utopie ist keine sinnvolle, weitblickende Politik zu machen. Dehalb brauchen wir Ideen für die Zukunft unserer Gesellschaft und es muss möglich sein, diese öffentlich zu diskutieren. Vielen Dank also für einen Impuls in diese Richtung.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

zeit.de: Heftige Kritik an Sozialismus-Thesen von Juso-Chef Kühnert
spiegel.de: Kühnert legt nach

Bildquelle:

https://de.wikipedia.org/wiki/Kevin_K%C3%BChnert#/media/File:Maischberger_-_2019-03-06-6434.jpg

Freitag, 26. April 2019

Sehr geehrter Herr Lindner,

ich hatte schon lange nicht mehr so richtig die Gelegenheit, mich mit der FDP auseinanderzusetzen. Geben Sie meiner einschränkenden Social-Media-Filterblase die Schuld, meinem FDP-fernen Real-Life-Netzwerk oder der Relevanz und medialen Macht Ihrer Partei - ich habe jedenfalls schon seit einiger Zeit kaum noch etwas von Ihnen mitbekommen. Umsomehr habe ich mich eben gefreut, dass die taz Ihnen mal wieder einen Artikel gewidmet hat. Juhu, ein bisschen mehr Lindner in meinem Leben!
.
.
.
Okay, der Satz bringt meine Gefühlslage nicht ganz auf den Punkt. Eher im Gegenteil. Egal.

Zurück zum taz-Artikel. Da wird im Vorfeld des kommenden FDP-Parteitages ein bisschen über die jüngste Entwicklung Ihrer Partei nachgedacht und der Befund, zu dem der Autor letztlich kommt, ist durchaus Bemerkenswert: Die FDP wird grüner.
Für alle Mitlesenden: Nein, es geht nicht um eine neuerliche Änderung der Parteifarben. Zumindest noch nicht. Vielmehr ist der aktuelle Erfolg der Grünen offenbar bis in die Köpfe der FDP-Strateg*innen geschwappt und hat sie zum Nachdenken gebracht. Politische Ziele gut und schön, aber letztendlich will man als gute*r Liberale*r doch regieren, also zunächst einmal gute Wahlergebnisse einfahren, oder? Da kann man ruhig mal ein paar alte Überzeugungen opfern, wenn man feststellt, dass anderer Leute Positionierung beim Volk der Wahl (haha, get it?) gerade besser läuft.

So soll mit Frau Beer als Spitzenkandidatin für die Europawahl und der von Ihnen als nachfolgende Generalsekretärin vorgeschlagenen Frau Teuteberg der Eindruck erweckt werden, Frauen hätten in der Männerpartei FDP neuerdings was zu sagen.
Noch viel erschreckender ist, das grünes Teufelszeug wie die Frauenquote inzwischen in den Bereich des Möglichen gerückt ist. Das heißt nicht, dass sie kommt, aber schon allein, dass über die Quote (oder Nicola Beers Vorschlag von "Zielvereinbarungen" beim Frauenanteil in innerparteilichen Führungspositionen und auf Wahllisten) diskutiert wird, konterkariert alles, was noch zur Zeit der letzten Bundestagswahl von Freien Demokraten zu hören war.

Witzig ist auch, wie Ihre Kritik an den "Fridays for Future"-Demos, denen Sie im Grunde die Kompetenz absprechen wollten, sich zu politischen Themen zu äußern, jetzt von Ihrer künftigen Generalsekretärin Teuteberg relativiert, beziehungsweise wie ihr eigentlich widersprochen wird. Auf einmal sind wir "alle Profis" und dürfen über Politik reden und Forderungen stellen - haben die freien Demokraten erst jetzt die Meinungsfreiheit entdeckt, oder hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich auch hier mit grünen Positionen ein paar Stimmen holen lassen?

Am Bemerkenswertesten finde ich, dass dieses Es-den-Grünen-nachmachen nicht das erste Mal ist, dass sich die FDP unter Ihrer Ägide einer solchen Imitationstaktik bedient. Schon im Bundestagswahlkampf 2017 wurden Sie scharf dafür kritisiert, Positionen einer Partei nachgeplappert zu haben, die sich gerade im Aufwind befand. Damals ging es allerdings nicht um die Grünen sondern in mancher Hinsicht um ihr Gegenteil: Die AfD machte mit rassistischen Parolen und Angstmacherei im Bereich von Migration und Asyl von sich reden und bekam tolle Umfragewerte - Prompt fiel auch Ihnen auf, wie gefährlich all das ist, wovor die AfD so Angst hat.

Inzwischen dünpeln die Rechten Umfragemäßig immer noch etwa da, wo sie im September 2017 waren. Die Grünen hingegen haben ihre Umfragewerte verdoppelt - also werden jetzt die Grünen nachgemacht.

Ich will gar nicht behaupten, dass Sie tatsächlich von der einen oder der anderen Seite inhaltlich überzeugt wären. Es geht um Stimmen, nicht um Inhalte, das ist mir schon klar. Was ich mich frage ist dasselbe, was ich mich auch früher schon gefragt habe, wenn es um die FDP ging: Was bieten Sie eigentlich noch selber an? Die FDP ist ein Teil CDU mit Beimischungen von allem, was gerade gut läuft. Sie haben die Grünen immer als Verbotspartei bezeichnet. Gleichzeitig haben Sie die FDP zur Mimikry-Partei gemacht. Daran stört mich gar nicht so sehr, dass Sie Positionen von anderen übernehmen - schließlich kann eine gute Idee auch mal anderen Leuten kommen - sondern vielmehr, dass die Wahllosigkeit, mit der Sie sich inhaltlichen Trends anpassen, nur den Schluss zulässt, dass es Ihnen gar nicht um die bessere, sondern nur um die populärere Idee geht. Schade, denn das nimmt Ihrem politischen Engagement den Charakter eines Beitrags zu einer besseren Gesellschaft und macht es stattdessen zu einer reinen Maßnahme zur Jobsicherung. Mal ehrlich: Haben Sie sich das so vorgestellt, als Sie in die Politik gegangen sind?

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

taz.de: Von den Grünen lernen?
nrz.de: Alle gegen Lindner - Grüne, AfD und Linke greifen FDP-Chef an
Wahlrecht.de: Sonntagsfrage Bundestagswahl

Bildquelle:

https://www.christian-lindner.de/sites/default/files/2017-07/Portraitfoto.jpg

Donnerstag, 4. April 2019

Sehr geehrter Herr Scheuer,

Ich habe Sie neulich auf einer Fridays-for-Future-Demo gesehen. Na ja, Ihr Gesicht zumindest. Ein Bild. Auf einem Plakat. Okay, es war eine Karrikatur von Ihnen als "Captain no planet". Aber es waren eindeutig Sie!
Die Schüler*innen, so viel kann man sehen, rufen nicht einfach Wünsche in den leeren Raum hinein. Sie wissen sehr wohl, an wen sie sich wenden wollen. Sie wissen, dass der Verkehrssektor eine große Rolle spielt, wenn es darum geht, die Treibhausgasemissionen Deutschlands zu verringern. Sie haben offenbar ebenfalls mitbekommen, wie zögerlich der hierfür verantwortliche Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur (falls Sie es vergessen haben: das sind Sie!) hier vorgeht und wie viel wichtiger ihm das Wohlergehen der Autokonzerne zu sein scheint - trotz aller Klimarhetorik, die Sie im Gegensatz zu Ihren Vorgängern immer mal wieder auffahren. Diese jungen Menschen verlangen von Ihnen, dass Sie ihre Zukunft schützen, weil Sie als aktueller Verkehrsminister dafür verantwortlich sind.

Ihr Kabinettskollege Peter Altmaier fiel vor Kurzem mit der interessanten These auf, Klimaschutz könne nur funktionieren, wenn unser Wohlstand nicht gefährdet werde und auch wenn Sie immer versuchen, den Eindruck zu erwecken, als nämen Sie Klimaschutz ernst, bin ich mir ziemlich sicher, dass Sie diese Behauptung sofort unterschreiben würden. Auch Christian Lindners Forderung, die Schüler*innen sollten Klimaschutz doch bitte den "Profis" überlassen, dürfte bei Ihnen auf offene Ohren getroffen sein - schließlich haben Sie selbst sich dafür ausgesprochen, die Demos außerhalb der Schulzeit stattfinden zu lassen, also zu einer Zeit, wo sie niemanden mehr stören und Sie sie nicht mehr ernst nehmen müssen.

Deshalb möchte ich Sie gerne an ein paar Infos darüber teilhaben lassen, wie Klimaschutz tatsächlich funktioniert - und zwar von echten "Profis" beschlossen und durchgeführt. Das Land der Verheißung heißt wie so oft Schweden. Während Deutschland sich noch immer darum streitet, was alles nicht geht und wofür uns die Ressourcen fehlen, hat die schwedische Regierung bereits vor zwei Jahren entschieden, Schweden bis 2045 klimaneutral zu machen. Jawohl, das ganze Land! Mithilfe einer CO2-Steuer und eines CO2-Fonds soll dieser schnelle Wechsel finanziert werden. Und es sind keine in der schulischen Ausbildung befindlichen Jugendlichen, die das beschlossen haben. Es sind Regierung und Parlament. Politik-"Profis" wie Sie selbst einer sind. Diese Leute rennen nicht blind in ein Fiasko. Sie sind sich der Tatsache durchaus bewusst, dass es sich um ein äußerst ambitioniertes Vorhaben handelt. Im Gegensatz zur deutschen Bundesregierung scheinen sie aber begriffen zu haben, dass es darunter nicht mehr geht. Wenn die Klimakatastrophe in ihrer schlimmsten Form verhindert werden soll, hilft nur noch ein äußerst ambitioniertes Vorgehen!

Genau das wäre eigentlich auch Ihre Aufgabe: mutige und effektive, an manchen Stellen auch drastische Pläne zu entwicklen und umzusetzen, um die Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor innerhalb kurzer Zeit dramatisch zu senken. Alles andere macht Sie in noch höherem Maße als uns andere zum Mitschuldigen an der Klimakatastrophe und dem Leid, das sie verursachen wird - und mancherorts bereits verursacht.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

süddeutsche.de: Scheuer muss beim Klimaschutz endlich mutig sein
taz.de: "Grüne" Hoffnung für die Ostsee


Bildquelle:

https://www.csu.de/common/scheuer/Andreas_Scheuer_3.jpg

Freitag, 22. März 2019

Sehr geehrte Frau Barley,

Regierungskoalitionen bringen Kompromisse mit sich, das weiß jeder politisch halbwegs interessierte und informierte Mensch. Es gibt aber einen Unterschied zwischen einem hart errungenen Kompromiss und der widerstandslosen Übernahme der Positionen der Koalitionpartnerin. Ganz besonders, wenn diese eineregelrechte Zerstörungskampagne gegen eine zivilgesellschaftliche Organisation führt.

Die Deutsche Umwelthilfe hat sich bei der Autolobby nicht beliebt gemacht, das ist klar. Dass CDU und CSU die Autolobby gerne mal mit den Menschen verwechseln, die sie zu ihren Vertreter*innen gewählt haben, ist auch weidlich bekannt. Insofern empört es zwar, verwundert jedoch nicht, dass aus der konservativen Ecke nichts als Bevormundungsfantasien und Drohungen kommen, die einer demokratischen Partei eigentlich äußerst schlecht anstehen. Die Forderung, der DUH die Gemeinnützigkeit abzuerkennen, ist nur ein Beispiel.
Bedenklich(er) wird es allerdings, wenn SPD-Politiker*innen dem nichts mehr entgegenzusetzen haben, sondern diese Linie am Ende stillschweigend unterstützen. Genau das scheinen Sie aber zu tun: in den Verhandlungen zu einem europäischen Verbandsklagerecht hat sich Ihr Ministerium dafür ausgesprochen, den Vorschlag der EU-Kommission so abzuändern, dass viele Verbände, darunter die DUH, von der Möglichkeit der Verbandsklage ausgenommen sind. Nur zur Erinnerung: Die DUH ist in der letzten Zeit vor allem dadurch bekannt geworden, dass sie Städte verklägt hat, die die Stickstoff-Emissions-Grenzwerte nicht einhalten und trotzdem keine wirksamen Maßnahmen - konkret ging es vor allem um innerstädtische Fahrverbote für die meisten Diesel-Fahrzeuge - ergreifen. Dieses Mittel wurde oft kritisiert, obwohl hier nichts anderes passiert, als dass staatliche Stellen zur Umsetzung ihrer eigenen Gesetze gezwungen werden.

Die Möglichkeit, im Namen vieler betroffener Einzelpersonen zu klagen, ist also ein Instrument, das gut in die Arbeitsweise der Deutschen Umwelthilfe passt. Diese könnte es so nutzen, wie es auch gedacht ist - und das ist offensichtlich nicht gewollt. Sie setzen sich also dafür ein, die EU-Richtlinie so abzuändern, dass die, die am meisten Nutzen davon hätten, nicht davon profitieren. Warum? Die DUH nutzt Instrumente, die Grundlage jedes Rechtsstaats sind. Dass der Staat sich an seine eigenen Regeln halten und sich dafür verantworten muss, wenn er das nicht tut, sollte selbstverständlich sein. Warum sollte man versuchen, diejenigen zu behindern, die genau das durchsetzen?

Schon als es um die deutsche Musterfeststellungsklage ging, wurde die DUH aus dem Gesetz herausdefiniert. Auf europäischer Ebene bietet sich jetzt die Möglichkeit, diesen Fehler zu beheben. Die Sozialdemokrat*innen im europäischen Parlament haben das verstanden und sich gemeinsam mit den Grünen für eine weniger restriktive Regel eingesetzt. Sie, die Sie als Spitzenkandidatin der SPD in den Europawahlkampf ziehen und nicht müde werden, zu betonen, wie europäisch Sie schon aufgrund Ihrer Biografie denken, sollten sich daran ein Beispiel nehmen, statt zu versuchen, ein Ärgernis für eine nationalstaatliche Regierung auf dem Umweg über Europa aus dem Weg zu räumen. Das und nicht weniger verlange ich von einer Sozialdemokratin.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

taz.de: Bleibt die Umwelthilfe außen vor?

Bildquelle:

https://katarina-barley.spd.de/fileadmin/Bilder/Barley/Website/SPD_Barley_Katarina_rgb.jpg

Donnerstag, 28. Februar 2019

Sehr geehrte Frau Schulze,

© BMU/Sascha Hilgers
es ist richtig, dass Sie sich als Bundesumweltministerin für das Thema Plastikmüll interessieren und es ist ebenso richtig, hier schon bei der Müllvermeidung anzufangen. Insofern also erst einmal vielen Dank, dass Sie begonnen haben, das Problem im Rahmen eines runden Tisches mit Vertreter*innen von Wirtschaft und Umweltverbänden zu diskutieren.

Was weniger zu loben ist, ist das Instrument, mit dem Sie die Reduzierung von Verpackungsmüll zu erreichen gedenken: Sie verlassen sich ganz auf freiwillige Selbstverpflichtungen der Industrie. "Andere Möglichkeiten" - also zum Beispiel gesetzliche Vorgaben - sollen erst in Betracht gezogen werden, wenn die freiwilligen Maßnahmen nicht den gewünschten Erfolg bringen.
Nun ist diese Abfolge erst einmal gar nicht so dumm. Man kann durchaus erst einmal gucken, was die Wirtschaft von sich aus anbietet, vielleicht kommt ja wirklich schon etwas Gutes dabei heraus. Ein solches Vorgehen macht aber nur Sinn, wenn man Zeit hat, ein bisschen herumzuexperimentieren. Bedenkt man aber, wie viel Tonnen Plastikmüll in der Umwelt landen können, während noch Ihr Versuch mit den freiwilligen Selbstverpflichtungen läuft, dann sieht man ein, dass die Dringlichkeit der Situation mit jedem Tag, an dem keine wirksamen Maßnahmen getroffen werden, steigt. Wir haben also keine Zeit für Experimente und wir können uns auch nicht erlauben, zu riskieren, dass das nächste Unternehmen, das ein Produkt an den deutschen Markt bringt, wieder ausschert. Wir brauchen verbindliche Regelungen.
Woher Sie die Gewissheit nehmen, über Freiwilligkeit "mehr [zu] erreichen als über Verbote", ist mir schleierhaft. Ich kann mich nicht erinnern, wann ein Unternehmen einmal geäußert hätte, gerne freiwillig mehr Maßnahmen umsetzen zu wollen, die keinen direkten Profit versprechen, als gesetzlich gefordert. Außerdem - wenn es wirklich Unternehmen mit diesem Wunsch geben sollte, wird sie sicher niemand daran hindern. Freiwillig mehr machen geht immer. Ein Gesetz verhindert nur, dass jemand freiwillig weniger macht.

Hinzu kommt, dass die Fixierung auf Freiwillige Selbstverpflichtungen ein fatales Signal aussendet. Sie sagen den Unternehmen im Grunde, dass sie mehr oder weniger selbst darüber bestimmen können, wie viel Umweltschutz sie betreiben. Es mag Bereiche geben, wo ein solches Vorgehen sinnvoll ist - der Umweltschutz, der ja alle Menschen etwas angeht, weil er den Schutz unserer Lebensgrundlagen betrifft, gehört sicher nicht dazu. Unsere Lebensgrundlagen zu schützen - das erwarte ich zu Recht vom Staat und den Politiker*innen, die ich gewählt habe. Es hat einen Grund, warum dafür nicht von vornherein privatwirtschaftliche Unternehmen zuständig sind. Machen Sie also bitte Ihren Job und sorgen Sie dafür, dass der in Deutschland anfallende Verpackungsmüll tatsächlich drastisch reduziert wird.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

spiegel.de: Umweltministerin Schulze setzt bei Plastikmüll auf Freiwilligkeit
taz.de: Freiwilliger Plastikkampf


Bildquelle:

https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Pools/fotogalerien/2018/03_maerz/180327_schulze_portraets/schulze_portraet_01.jpg

Donnerstag, 21. Februar 2019

Sehr geehrter Herr Altmaier,

wer ihnen im Augenblick zuhört, muss Sie fast zwangsläufig für den "überzeugten Europäer" schlechthin halten. So viel wie Sie momentan von "Europäischen Industrie-Champions" reden könnte man meinen, Sie seien nicht der deutsche, sondern der europäische Wirtschaftsminister.
So antiquiert Ihre Fixierung auf die Industrie in einer Dienstleistungsgesellschaft wie der unseren auf den ersten Blick wirkt, an manchen Stellen haben Sie durchaus Recht: So ist beispielsweise Ihr Wunsch, eine europäische Fertigung von Batteriezellen aufzubauen, um für batterieelektrisch betriebene Mobilitätsprodukte - allen voran E-Autos - nicht grundsätzlich auf Importe angewiesen zu sein, durchaus sinnvoll. Schon allein, weil eine europäische Fabrik auch europäische Standards bei Bezahlung und sozialer Absicherung der Belegschaft bedeuten würde.

Die Anforderungen, die Sie an das Konzept einer europäischen Batteriezell-Fertigungsanlage stellen sollten, fangen hier jedoch erst an. Einige wichtige Rohstoffe zur Zellfertigung gelten als Konfliktressourcen, die in ihren Herkunftsländern unter teils katastrophalen Bedingungen abgebaut werden. Von den europäischen Mideststandards bei Arbeitsschutz und Arbeitsbedingungen sowie von der hierzulande üblichen Entlohnung können die dort beschäftigten nur träumen. Selbst faktische Sklaverei und Kinderarbeit kommen vor. Das sind Themen, für die sich ein "Europäischer Champion" der Batteriezellfertigung zu interessieren hat. Für die Vergabe der von Ihnen ausgeschriebenen Förderung sollte die Kontrolle von menschenwürdigen Bedingungen entlang der Lieferkette ein zentrales Kriterium sein!

Doch zurück zu Ihrer industriepolitischen Europabegeisterung. Die wirkt nämlich auf den zweiten Blick schon gar nicht mehr so euphorisch. Ihr Vorhaben, dem Europäischen Rat, also einem Gremium, in dem Vertreter*innen der Nationalstaaten sitzen, ein Vetorecht in Bezug auf Entscheidungen einzuräumen, die die Europäische Kommission trifft, um den innereuropäischen Wettbewerb zu schützen. Eine Verlagerung von Kompetenzen von einem supranationalen auf ein von nationalen Interessen geprägtes Gremium ist ein Rückschritt in der europäischen Integration. Das scheinbar proeuropäische Argument, dies sei für gemeinsame Großprojekte halt nötig, zieht nicht: Vorhaben wie die kürzlich von der Kommission untersagte Fusion der beiden Zugbauer Alstom (aus Frankreich) und Siemens (Deutschland) lassen sich zwar gut als "europäisch" labeln, schaffen aber nichtsdestotrotz Monopolisten auf dem europäischen Markt, die Wettbewerbern kaum eine Chance lassen. Vielleicht ließe sich der Zusammenschluss dennoch rechtfertigen - die Übermacht chinesischer Anbieter mit staatlich subventionierten Schleuderpreisen ist ja auch ein Argument - aber es gibt noch einen Punkt, der dagegen spricht: Ein europäischer Champion ist trotzdem nur eine Firma, die nur in einem oder zumindest in wenigen Ländern Jobs schafft und Steuern zahlt. Die Alstom-Siemens-Geschichte mag für Deutschland und Frankreich reizvoll gewesen sein, die anderen europäischen Länder hätten nciht viel davon gehabt. Um ein "europäisches" Projekt im eigentlichen Sinne handelt es sich also nicht, sondern nur um ein deutsch-französisches. Es gibt einen Weg, dieses Problem zu umgehen - ob der auf Ihre Zustimmung trifft ist aber mehr als fraglich. Würde die europäische Integration weiter vorangetrieben bis zu einem Punkt, an dem nicht nur die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Mitgliedsstaaten vergemeinschaftet (oder zumindest stark harmonisiert), sondern auch die Besteuerung von Unternehmen eine EU-Angelegenheit wäre, dann hätte sich zumindest ein Teil des Problems erledigt. Sicherlich gäbe es immer noch eine gewisse Konkurrenz der Länder (oder dann vielleicht eher: der Regionen) um die Niederlassungen der Unternehmen, weil damit Jobs in der jeweiligen Gegend geschaffen würden. Die Frage nach dem Steueraufkommen aber hätte sich erledigt - die EU könnte die Steuern einstreichen und dann so verteilen, dass die gesamte Union davon profitierte. Nur so währen tatsächlich "europäische" Champions überhaupt möglich. Eine solche Union bräuchte natürlich auch tiefgreifende Reformen in Sachen demokratische Teilhabe. Es würde im Grunde auf eine föderale Republik Europa hinauslaufen. Solange sich zu derartigen Umwälzungen niemand bereitfindet - und ich gehe davon aus, dass das noch eine ganze Weile lang der Fall sein wird - sind "Europäische Industrie-Champions" eher eine Bedrohung als ein Segen für die europäische Idee.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

spiegel.de: Altmeier und Le Maire wollen europäische "Industrie-Champions"
welt.de: Der ehrgeizige Industrie-Plan von Deutschland und Frankreich

Bildquelle:

https://peteraltmaier.de/wp-content/uploads/2017/08/person1.jpg