Freitag, 3. Mai 2019

Sehr geehrter Herr Kühnert,

© Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)
heute will ich mal nicht pöbeln, sondern einfach nur danke sagen. Ehrlich! Ich bin ja immer eher misstrauisch, wenn in einer angestaubten Partei wie der SPD, die mich einfach schon öfter enttäuscht als begeistert hat, plötzlich jemand auftaucht, der nach Idealismus, Ehrlichkeit und Neuanfang aussieht. Ich stelle mir dann zwei Fragen: Traue ich dieser Partei eine solche Veränderung, ein Rückbesinnung auf ihren früheren Idealismus zu? Und traue ich diesem Menschen zu, dass er sich durch das brutale Räderwerk der Parteimaschinerie kämpft, ohne hinterher genau dem Standardmodell eines im Grunde meinungslosen Wähler*innenstimmen-Akkumulierungs-Apparats zu entsprechen, gegen den er einst zu Felde gezogen ist?

Ich will ehrlich sein: Bei der ersten Frage bin ich noch nicht sehr optimistisch. Ich kann mir diesen Wandel einfach nicht vorstellen, erst recht nicht, wenn ich sehe, wie verstörend Kapitalismuskritik inzwischen auf Teile der SPD wirkt. Ich muss fairerweise erwähnen, dass es auch Genossen gibt, die Ihnen für Ihr Interview in der Zeit (leider hinter der Paywall, daher nicht verlinkt) den Rücken gestärkt haben. Ich will Ihre Partei daher noch nicht ganz abschreiben, bin aber skeptisch, ob sich die Sozialdemokraten in der SPD (nein, das sind nicht alle Parteimitglieder) irgendwann einmal durchsetzen können. Wir werden sehen.

Bei Frage nummer zwei hingegen tendiere ich gerade immer stärker zu einem "ja". Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bleibe misstrauisch. Nicht, weil ich Ihnen irgendwelche schlechten Absichten unterstellen wollte, sondern weil ich glaube, dass sich ein Wandel vom Idealismus über Pragmatismus hin zur Resignation oft genug schleichend vollzieht, ohne demjenigen, der ihn durchmacht, wirklich bewusst zu sein. Gleichzeitig stelle ich aber fest, dass Sie von der #NoGroKo-Kampagne, mit der sie das erste Mal auf meinem persönlichen Radar aufgetaucht sind, bis heute trotz ziemlich großer medialer Aufmerksamkeit und Kritik nicht nur vom politischen Gegner, sondern auch aus der eigenen Partei, in Ihren Positionen ziemlich konsistent geblieben sind.

Gut, die Zeit vom November 2017 bis heute ist noch gar nicht so lang. Vielleicht schleifen sich politische Einstellungen einfach über größere Zeitabstände ab. Nichtsdestotrotz finde ich es bemerkenswert, dass Sie sich weder der Parteiführung angepasst haben, noch verstummt sind. Sie haben sich nicht einschüchtern lassen und fahren fort, der SPD die Haltung einer linken, einer sozialen Partei abzuverlangen. Was mich außerdem für Sie einnimmt ist, dass mit der großen Bekanntheit, die Sie erlangt haben, meines Wissens keine lautstarken Forderungen nach einer Spitzenposition bei der SPD einhergegangen sind. Derlei Absichten hätten mit Ihrem seit 2017 enorm gestiegenen Bekanntheitsgrad sicherlich Aussicht auf Erfolg gehabt. Nicht, dass ich es Ihnen übel nehmen würde, wenn Sie sich um ein Amt oder einen vorderen Listenplatz bei einer Wahl bewerben würden. Schließlich kann es sinnvoll sein, den eigenen politischen Vorstellungen durch eine einflussreiche Position Nachdruck zu verleihen. Es nimmt mich aber durchaus für Sie ein, dass der Grund für Ihr öffentlichkeitswirksames Engagement offensichtlich nicht in erster Linie die Sicherung eines gutbezahlten Jobs war.

Ich möchte Ihnen also danken. Für Ihr Engagement in der SPD und in unserer Gesellschaft allgemein und ganz konkret für Ihren jüngsten Vorstoß für eine neue Wirtschaftsordnung im Zeit-Interview. Dazu noch ein paar Gedanken:
Erstens ist es grundsätzlich richtig, sich über alternative Möglichkeiten Gedanken zu machen, wie unsere Wirtschaft funktionieren könnte. Das folgt schon allein daraus, dass unser aktuelles System keinesfalls perfekt oder auch nur nahe daran ist, sondern massive Ungleichheit bewirkt - sowohl in unserem Land, als auch global gesehen. Zweitens ist es richtig, dass sich SPD und Jusos mit Möglichkeiten der Vergemeinschaftung beschäftigen, denn von den meisten Fraktionen ist ein solcher Vorstoß nicht zu erwarten und wenn die Linkspartei ihn bringt, wird er von der Hälfte des Bundestages abgelehnt, ohne auch nur die Überschrift zu Ende gelesen zu haben. Wenn also Gedanken wie Ihre in den Parlamenten wie in der Gesellschaft diskutiert werden sollen, ist die Partei gefragt, die den Sozialismus noch im Namen trägt.

Drittens schließlich mögen auch manche grundsätzlich nicht abgeneigten Kommentator*innen Ihre Vorschläge als realitätsfremd ablehnen. Diese Menschen verkennen jedoch den enormen Bedarf an Utopien, der in unserer Gesellschaft herrscht. Dem Konservatismus fehlt es auch darum an Überzeugungskraft, weil er in einer dynamischen Zeit nicht sagen kann, wohin es eigentlich gehen soll. Die Welt verändert sich, das ist Fakt. Wer trotzdem darauf beharrt, im Grunde alles zu lassen, wie es ist, hat diese einfache Tatsache nicht verstanden. Wenn nämlich bekannt ist, dass in ein paar Jahren vieles anders sein wird, als es heute ist, dann muss man sich die Frage gefallen lassen, wie dieser Wandel gestaltet werden soll. Um das zu bestimmen braucht es ein Ziel, auf das man zuarbeiten kann. Ohne Ziel, Leitbild, Utopie ist keine sinnvolle, weitblickende Politik zu machen. Dehalb brauchen wir Ideen für die Zukunft unserer Gesellschaft und es muss möglich sein, diese öffentlich zu diskutieren. Vielen Dank also für einen Impuls in diese Richtung.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

zeit.de: Heftige Kritik an Sozialismus-Thesen von Juso-Chef Kühnert
spiegel.de: Kühnert legt nach

Bildquelle:

https://de.wikipedia.org/wiki/Kevin_K%C3%BChnert#/media/File:Maischberger_-_2019-03-06-6434.jpg

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