Freitag, 26. April 2019

Sehr geehrter Herr Lindner,

ich hatte schon lange nicht mehr so richtig die Gelegenheit, mich mit der FDP auseinanderzusetzen. Geben Sie meiner einschränkenden Social-Media-Filterblase die Schuld, meinem FDP-fernen Real-Life-Netzwerk oder der Relevanz und medialen Macht Ihrer Partei - ich habe jedenfalls schon seit einiger Zeit kaum noch etwas von Ihnen mitbekommen. Umsomehr habe ich mich eben gefreut, dass die taz Ihnen mal wieder einen Artikel gewidmet hat. Juhu, ein bisschen mehr Lindner in meinem Leben!
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Okay, der Satz bringt meine Gefühlslage nicht ganz auf den Punkt. Eher im Gegenteil. Egal.

Zurück zum taz-Artikel. Da wird im Vorfeld des kommenden FDP-Parteitages ein bisschen über die jüngste Entwicklung Ihrer Partei nachgedacht und der Befund, zu dem der Autor letztlich kommt, ist durchaus Bemerkenswert: Die FDP wird grüner.
Für alle Mitlesenden: Nein, es geht nicht um eine neuerliche Änderung der Parteifarben. Zumindest noch nicht. Vielmehr ist der aktuelle Erfolg der Grünen offenbar bis in die Köpfe der FDP-Strateg*innen geschwappt und hat sie zum Nachdenken gebracht. Politische Ziele gut und schön, aber letztendlich will man als gute*r Liberale*r doch regieren, also zunächst einmal gute Wahlergebnisse einfahren, oder? Da kann man ruhig mal ein paar alte Überzeugungen opfern, wenn man feststellt, dass anderer Leute Positionierung beim Volk der Wahl (haha, get it?) gerade besser läuft.

So soll mit Frau Beer als Spitzenkandidatin für die Europawahl und der von Ihnen als nachfolgende Generalsekretärin vorgeschlagenen Frau Teuteberg der Eindruck erweckt werden, Frauen hätten in der Männerpartei FDP neuerdings was zu sagen.
Noch viel erschreckender ist, das grünes Teufelszeug wie die Frauenquote inzwischen in den Bereich des Möglichen gerückt ist. Das heißt nicht, dass sie kommt, aber schon allein, dass über die Quote (oder Nicola Beers Vorschlag von "Zielvereinbarungen" beim Frauenanteil in innerparteilichen Führungspositionen und auf Wahllisten) diskutiert wird, konterkariert alles, was noch zur Zeit der letzten Bundestagswahl von Freien Demokraten zu hören war.

Witzig ist auch, wie Ihre Kritik an den "Fridays for Future"-Demos, denen Sie im Grunde die Kompetenz absprechen wollten, sich zu politischen Themen zu äußern, jetzt von Ihrer künftigen Generalsekretärin Teuteberg relativiert, beziehungsweise wie ihr eigentlich widersprochen wird. Auf einmal sind wir "alle Profis" und dürfen über Politik reden und Forderungen stellen - haben die freien Demokraten erst jetzt die Meinungsfreiheit entdeckt, oder hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich auch hier mit grünen Positionen ein paar Stimmen holen lassen?

Am Bemerkenswertesten finde ich, dass dieses Es-den-Grünen-nachmachen nicht das erste Mal ist, dass sich die FDP unter Ihrer Ägide einer solchen Imitationstaktik bedient. Schon im Bundestagswahlkampf 2017 wurden Sie scharf dafür kritisiert, Positionen einer Partei nachgeplappert zu haben, die sich gerade im Aufwind befand. Damals ging es allerdings nicht um die Grünen sondern in mancher Hinsicht um ihr Gegenteil: Die AfD machte mit rassistischen Parolen und Angstmacherei im Bereich von Migration und Asyl von sich reden und bekam tolle Umfragewerte - Prompt fiel auch Ihnen auf, wie gefährlich all das ist, wovor die AfD so Angst hat.

Inzwischen dünpeln die Rechten Umfragemäßig immer noch etwa da, wo sie im September 2017 waren. Die Grünen hingegen haben ihre Umfragewerte verdoppelt - also werden jetzt die Grünen nachgemacht.

Ich will gar nicht behaupten, dass Sie tatsächlich von der einen oder der anderen Seite inhaltlich überzeugt wären. Es geht um Stimmen, nicht um Inhalte, das ist mir schon klar. Was ich mich frage ist dasselbe, was ich mich auch früher schon gefragt habe, wenn es um die FDP ging: Was bieten Sie eigentlich noch selber an? Die FDP ist ein Teil CDU mit Beimischungen von allem, was gerade gut läuft. Sie haben die Grünen immer als Verbotspartei bezeichnet. Gleichzeitig haben Sie die FDP zur Mimikry-Partei gemacht. Daran stört mich gar nicht so sehr, dass Sie Positionen von anderen übernehmen - schließlich kann eine gute Idee auch mal anderen Leuten kommen - sondern vielmehr, dass die Wahllosigkeit, mit der Sie sich inhaltlichen Trends anpassen, nur den Schluss zulässt, dass es Ihnen gar nicht um die bessere, sondern nur um die populärere Idee geht. Schade, denn das nimmt Ihrem politischen Engagement den Charakter eines Beitrags zu einer besseren Gesellschaft und macht es stattdessen zu einer reinen Maßnahme zur Jobsicherung. Mal ehrlich: Haben Sie sich das so vorgestellt, als Sie in die Politik gegangen sind?

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

taz.de: Von den Grünen lernen?
nrz.de: Alle gegen Lindner - Grüne, AfD und Linke greifen FDP-Chef an
Wahlrecht.de: Sonntagsfrage Bundestagswahl

Bildquelle:

https://www.christian-lindner.de/sites/default/files/2017-07/Portraitfoto.jpg

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