Freitag, 10. Mai 2019

Sehr geehrte Frau Merkel,

wo ist sie hin, die "Klimakanzlerin"? Kaum gibt es Generationen- und Länderübergreifend Rückenwind für Klimaschutzmaßnahmen, da hat sie sich offenbar in Luft aufgelöst. Nicht, dass das nicht schon lange erkennbar gewesen wäre. Unter Ihrer Kanzlerinnenschaft ruht sich Deutschland seit Jahren auf seinem Klimaschutz-Vorreiter-Image aus und verpasst dabei alle selbst gesteckten Ziele. Auf dem Gipfel in Sibiu in Rumänien wurde die Sache aber noch einmal sehr deutlich.

Die Fridays-for-Future-Demos zeigen Wirkung, das kann man schon mal festhalten. Das Klima ist noch nicht gerettet, bei Weitem nicht, aber das Thema beschäftigt die europäischen Regierungs- und Staatschefs endlich wieder. Na gut, einige von ihnen. Beim Gipfel in Sibiu stand der Klimaschutz nicht sehr weit vorn auf der Tagesordnung. Trotzdem ist es positiv zu bewerten, dass der französische Staatspräsident Emmanuel Macron jetzt ein klimaneutrales Europa bis 2050 fordert und dass neben Frankreich auch die Regierungen von Belgien, Luxemburg, Dänemark, den Niederlanden, Portugal, Spanien, Schweden und neuerdings Lettland ein entsprechendes Papier unterzeichnet haben. Warum ich diese neun der 28 EU-Länder aufzähle? Um deutlich zu machen, wer fehlt. Wir fehlen. Deutschland fehlt. Ihre Regierung fehlt in der Reihe derer, die sich zumindest dafür aussprechen, das in unserer Macht stehende zu tun, um den Planeten nochmal zusammenzuflicken. Ich weiß, er ist alt und schon ein bisschen schrumpelig, aber - so abgedroschen die Feststellung auch ist - wir haben keinen anderen.

Draußen vor den Türen stehen also junge Menschen aus allen möglichen europäischen Ländern und fordern von Ihnen und den anderen Staats- und Regierungschef*innen der EU, wirksamen Klimaschutz in die Leitlinien für die Entwicklung der Union bis 2024 aufzunehmen. Und was tun Sie? Faseln davon, ein klimaneutrales Europa 2050 ließe sich nicht mit den deutschen Klimazielen vereinbaren. Was soll das? Sie müssen ohnehin umplanen, was den Umgang mit dem Klimawandel angeht, denn so wie es jetzt aussieht, werden wir auch die deutschen Klimaziele krachend verfehlen. Hinzu kommt, dass immer schon klar war, dass die deutschen Klimaziele nicht ausreichen, um unseren Beitrag zum Stoppen der Klimakatatrophe beizutragen. Gegen mehr Engagement und schärfere Klimaziele wurde immer wieder vorgebracht, das mache als Einzelstaat keinen Sinn und alle müssten gemeinsam handeln, um tatsächlich etwas zu erreichen. Jetzt fangen die europäischen Staaten an, gemeinsam zu handeln - und Deutschland will nicht mitmachen!

Wir brauchen schnelle, entschlossene Maßnahmen, um die Klimakatastrophe noch aufzuhalten und wir brauchen sie - das stimmt schon - in möglichst allen Ländern der Erde. Darauf zu warten, dass die entsprechenden Ansätze in allen Ländern der Erde gleichzeitig entstehen, wäre allerdings gleichbedeutend mit einer Kapitulation. Ein Europa, das in den nächsten 30 Jahren klimaneutral wird, würde allerdings nicht nur die weltweiten Emissionen schon mal stärker beeinflussen, als ein einzelnes Land das könnte, es würde auch allen zeigen, dass die Möglichkeiten klimaneutralen Wirtschaftens durchaus gegeben sind. Es würde die Angst vieler Länder mindern, durch eigenes Vorpreschen im Klimaschutz einen Nachteil im internationalen wirtschaftlichen Wettbewerb in Kauf zu nehmen. Europa könnte ein Anfang sein.
Genauso könnte Deutschland gemeinsam mit Frankreich innerhalb Europas ein Anfang sein. Die beiden wirtschaftsstärksten Länder der Union könnten die anderen mitziehen und auch ihre enorme politische Macht innerhalb der EU nutzen, um das Ziel eines klimaneutralen Europas bis 2050 zu erreichen. Immer nur auf das Große zu verweisen, bringt nichts, denn auch das Große muss im Kleinen anfangen. Von Ihnen erwarte, nein fordere ich, dass Sie diesen Anfang machen.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

t-online.de: Merkel will mehr Tempo in der EU - und bremst beim Klima
zdf.de: Eu nach außen einig, innen zerrissen

Bildquelle:

https://www.cdu.de/sites/default/files/media/images/angela_merkel/161206-angela-merkel-pressefoto.jpg

Freitag, 3. Mai 2019

Sehr geehrter Herr Kühnert,

© Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)
heute will ich mal nicht pöbeln, sondern einfach nur danke sagen. Ehrlich! Ich bin ja immer eher misstrauisch, wenn in einer angestaubten Partei wie der SPD, die mich einfach schon öfter enttäuscht als begeistert hat, plötzlich jemand auftaucht, der nach Idealismus, Ehrlichkeit und Neuanfang aussieht. Ich stelle mir dann zwei Fragen: Traue ich dieser Partei eine solche Veränderung, ein Rückbesinnung auf ihren früheren Idealismus zu? Und traue ich diesem Menschen zu, dass er sich durch das brutale Räderwerk der Parteimaschinerie kämpft, ohne hinterher genau dem Standardmodell eines im Grunde meinungslosen Wähler*innenstimmen-Akkumulierungs-Apparats zu entsprechen, gegen den er einst zu Felde gezogen ist?

Ich will ehrlich sein: Bei der ersten Frage bin ich noch nicht sehr optimistisch. Ich kann mir diesen Wandel einfach nicht vorstellen, erst recht nicht, wenn ich sehe, wie verstörend Kapitalismuskritik inzwischen auf Teile der SPD wirkt. Ich muss fairerweise erwähnen, dass es auch Genossen gibt, die Ihnen für Ihr Interview in der Zeit (leider hinter der Paywall, daher nicht verlinkt) den Rücken gestärkt haben. Ich will Ihre Partei daher noch nicht ganz abschreiben, bin aber skeptisch, ob sich die Sozialdemokraten in der SPD (nein, das sind nicht alle Parteimitglieder) irgendwann einmal durchsetzen können. Wir werden sehen.

Bei Frage nummer zwei hingegen tendiere ich gerade immer stärker zu einem "ja". Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bleibe misstrauisch. Nicht, weil ich Ihnen irgendwelche schlechten Absichten unterstellen wollte, sondern weil ich glaube, dass sich ein Wandel vom Idealismus über Pragmatismus hin zur Resignation oft genug schleichend vollzieht, ohne demjenigen, der ihn durchmacht, wirklich bewusst zu sein. Gleichzeitig stelle ich aber fest, dass Sie von der #NoGroKo-Kampagne, mit der sie das erste Mal auf meinem persönlichen Radar aufgetaucht sind, bis heute trotz ziemlich großer medialer Aufmerksamkeit und Kritik nicht nur vom politischen Gegner, sondern auch aus der eigenen Partei, in Ihren Positionen ziemlich konsistent geblieben sind.

Gut, die Zeit vom November 2017 bis heute ist noch gar nicht so lang. Vielleicht schleifen sich politische Einstellungen einfach über größere Zeitabstände ab. Nichtsdestotrotz finde ich es bemerkenswert, dass Sie sich weder der Parteiführung angepasst haben, noch verstummt sind. Sie haben sich nicht einschüchtern lassen und fahren fort, der SPD die Haltung einer linken, einer sozialen Partei abzuverlangen. Was mich außerdem für Sie einnimmt ist, dass mit der großen Bekanntheit, die Sie erlangt haben, meines Wissens keine lautstarken Forderungen nach einer Spitzenposition bei der SPD einhergegangen sind. Derlei Absichten hätten mit Ihrem seit 2017 enorm gestiegenen Bekanntheitsgrad sicherlich Aussicht auf Erfolg gehabt. Nicht, dass ich es Ihnen übel nehmen würde, wenn Sie sich um ein Amt oder einen vorderen Listenplatz bei einer Wahl bewerben würden. Schließlich kann es sinnvoll sein, den eigenen politischen Vorstellungen durch eine einflussreiche Position Nachdruck zu verleihen. Es nimmt mich aber durchaus für Sie ein, dass der Grund für Ihr öffentlichkeitswirksames Engagement offensichtlich nicht in erster Linie die Sicherung eines gutbezahlten Jobs war.

Ich möchte Ihnen also danken. Für Ihr Engagement in der SPD und in unserer Gesellschaft allgemein und ganz konkret für Ihren jüngsten Vorstoß für eine neue Wirtschaftsordnung im Zeit-Interview. Dazu noch ein paar Gedanken:
Erstens ist es grundsätzlich richtig, sich über alternative Möglichkeiten Gedanken zu machen, wie unsere Wirtschaft funktionieren könnte. Das folgt schon allein daraus, dass unser aktuelles System keinesfalls perfekt oder auch nur nahe daran ist, sondern massive Ungleichheit bewirkt - sowohl in unserem Land, als auch global gesehen. Zweitens ist es richtig, dass sich SPD und Jusos mit Möglichkeiten der Vergemeinschaftung beschäftigen, denn von den meisten Fraktionen ist ein solcher Vorstoß nicht zu erwarten und wenn die Linkspartei ihn bringt, wird er von der Hälfte des Bundestages abgelehnt, ohne auch nur die Überschrift zu Ende gelesen zu haben. Wenn also Gedanken wie Ihre in den Parlamenten wie in der Gesellschaft diskutiert werden sollen, ist die Partei gefragt, die den Sozialismus noch im Namen trägt.

Drittens schließlich mögen auch manche grundsätzlich nicht abgeneigten Kommentator*innen Ihre Vorschläge als realitätsfremd ablehnen. Diese Menschen verkennen jedoch den enormen Bedarf an Utopien, der in unserer Gesellschaft herrscht. Dem Konservatismus fehlt es auch darum an Überzeugungskraft, weil er in einer dynamischen Zeit nicht sagen kann, wohin es eigentlich gehen soll. Die Welt verändert sich, das ist Fakt. Wer trotzdem darauf beharrt, im Grunde alles zu lassen, wie es ist, hat diese einfache Tatsache nicht verstanden. Wenn nämlich bekannt ist, dass in ein paar Jahren vieles anders sein wird, als es heute ist, dann muss man sich die Frage gefallen lassen, wie dieser Wandel gestaltet werden soll. Um das zu bestimmen braucht es ein Ziel, auf das man zuarbeiten kann. Ohne Ziel, Leitbild, Utopie ist keine sinnvolle, weitblickende Politik zu machen. Dehalb brauchen wir Ideen für die Zukunft unserer Gesellschaft und es muss möglich sein, diese öffentlich zu diskutieren. Vielen Dank also für einen Impuls in diese Richtung.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

zeit.de: Heftige Kritik an Sozialismus-Thesen von Juso-Chef Kühnert
spiegel.de: Kühnert legt nach

Bildquelle:

https://de.wikipedia.org/wiki/Kevin_K%C3%BChnert#/media/File:Maischberger_-_2019-03-06-6434.jpg