Freitag, 23. Februar 2018

Sehr geehrter Herr Sartor,

Nicht Herr Sartor, aber die Tafel Essen...
Ihr Engagement für "deutsche Omas" in allen Ehren, aber das muss auch anders gehen! Die Tafel Essen, eine Organisation, die dazu da ist, Bedürftigen Lebensmittel zukommen zu lassen, verteilt ihre Nutzungskarten neuerdings nur noch gegen Vorlage eines deutschen Personalausweises, weil der Anteil der Nicht-deutschen Bedürftigen, die das Angebot nutzen, zuletzt auf etwa 75 % gestiegen ist. Sie als Vorsitzender der Tafel Essen verantworten diese Entscheidung mit und verteidigen sie in der Öffentlichkeit - unterlaufen damit aber meines Erachtens die Ziele Ihrer Organisation.

Zunächst: Ja, in den letzten Jahren sind viele Menschen aus anderen Ländern in Deutschland angekommen, viel mehr Menschen als früher haben hier Asyl beantragt und die, denen Asyl gewährt wird, und die somit offiziell Sozialleistungen beziehen, können ab diesem Moment auch bei den Tafeln auftauchen und sich dort anmelden, wenn ein Platz frei wird. Aber heißt der höhere Anteil Zugezogener an der Nutzer*innenzahl der Tafeln, dass die Tafel etwas ändern muss?
Mitnichten.
Dass neuerdings 75 % der Tafelnutzer*innen nicht in Deutschland geboren sind weist lediglich darauf hin, dass es in diesem Nutzer*innensegment eine besonders große Bedürftigkeit gibt. Wenn also tatsächlich die Bedürftigkeit der Grund für die Hilfe der Tafel ist, dann darf die Tafel Bedürftige nicht ablehnen, weil sie aus einem anderen Land kommen.

Jetzt argumentieren Sie, die in Deutschland geborenen Nutzer*innen fühlten sich bedroht durch die hohe Zahl von fremdsprachigen Menschen an den Ausgabestellen und gerade der Respekt der Zugezogenen vor Frauen lasse zu wünschen übrig, was zum Wegbleiben alter Bekannter geführt habe. Dazu zwei Dinge. Erstens: Wenn sich Menschen durch fremde Sprachen bedroht fühlen, ist das in erster Linie ein Problem dieser Menschen. Dann kann man versuchen, ihnen zu helfen, dieses Problem zu überwinden. Eine empfundene (aber nicht reale) Bedrohung dadurch zu bekäümpfen, dass man die Menschen, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen, als dass sie eine andere Sprache sprechen, von Hilfe ausschließt, ist nichts anderes als ein Schüren derselben Klischees, derer sich Rechte bedienen, um die Angst vor Geflüchteten zu schüren.
Zweitens: Wenn es Menschen gibt, die zu einer Ausgabestelle der Tafel kommen und sich dort unakzeptabel verhalten, also Menschen bedrohen, schubsen, erniedrigen oder auf andere Weise ohne Respekt behandeln, ist das schlimm und rechtfertigt, dass diese Leute ausgeschlossen werden. Allerdings nur diese Leute selbst, als Individuen. Eine ganze Gruppe von Menschen als sozial unverträglich zu brandmarken, weil es in dieser Gruppe auch Individuen gibt, auf die das zutrifft, bedient (auch wenn der Anteil der Verstöße gegen gesellschaftliche Normen in dieser Gruppe Ihrer Erfahrung nach höher sein sollte, als in anderen) fremdenfeindliche Stereotype und schafft eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, da so auch alle ausgeschlossen werden, die sich korrekt verhalten haben. Die Alternative: Stellen sie einen Katalog fester Verhaltensregeln auf, sorgen Sie dafür, dass dieser bei der Vergabe der Nutzungskarten mitgeteilt und auf die möglichen Sanktionen hingewiesen wird. Wenn dann dagegen verstoßen wird, können Sie den Übeltäter ohne schlechtes Gewissen ermahnen, ihm die Nutzungskarte entziehen oder ihn sogar auf begrenzte Zeit von der Verteilung der Nutzungskarten gänzlich ausschließen, je nachdem, welche Konsequenzen vorher festgelegt wurden. Zusätzlich ließe sich so auch auf die Fälle reagieren, die bei Menschen auftreten, die bereits eine Nutzungskarte haben - also auf alle Fälle, in die die Menschen verwickelt sind, mit denen Sie schon schlechte Erfahrungen gemacht haben. Mit denen hilft Ihnen die von Ihnen gewählte Maßnahme nämlich kein Stückchen weiter.

Mit freundlichen Grüßen

HG

PS: Wenn Sie sich eine Tafel nur für Deutsche wünschen, fragen Sie doch mal bei der AfD nach, ob die sowas organisieren würden? Da gibt es doch sicherlich ein paar begeisterungsfähige Patrioten...

Der Hintergrund:

zeit.de: Essener Tafel nimmt vorerst nur noch Deutsche auf
waz.de: Die Essener Tafel nimmt zurzeit nur noch Deutsche auf

Bildquelle:

http://www.essener-tafel.de/index.php?eID=tx_cms_showpic&file=2341&md5=110b5541187a462d20c2407888e78b7524ef4c19&parameters%5B0%5D=YTo0OntzOjU6IndpZHRoIjtzOjQ6IjgwMG0iO3M6NjoiaGVpZ2h0IjtzOjQ6IjYw&parameters%5B1%5D=MG0iO3M6NzoiYm9keVRhZyI7czo0MToiPGJvZHkgc3R5bGU9Im1hcmdpbjowOyBi&parameters%5B2%5D=YWNrZ3JvdW5kOiNmZmY7Ij4iO3M6NDoid3JhcCI7czozNzoiPGEgaHJlZj0iamF2&parameters%5B3%5D=YXNjcmlwdDpjbG9zZSgpOyI%2BIHwgPC9hPiI7fQ%3D%3D

Freitag, 16. Februar 2018

Sehr geehrter Herr Poggenburg,

ich habe mir abgewöhnt, von Angehörigen Ihrer Partei irgendetwas Gutes zu erwarten. Lange schon habe ich mir das abgewöhnt und was ich von Ihnen und Ihren Parteifreunden höre, gibt mir in diesem Punkt wieder und wieder Recht.
Man sollte ja meinen, jemand, von dem man absolut nichts Positives erwartet, könne einen im Grunde nur noch positiv überraschen. Das Niveau meiner Erwartungen an die AfD ist so gering, dass es ein Leichtes sein sollte, mit einem lockeren Sprung darüber hinwegzusetzen. Genaugenommen bräuchte es nicht mal einen Sprung. Es würde schon reichen, wenn Sie es schaffen würden, die metaphorischen Sohlen vom klebrigen Untergrund Ihrer menschenfeindlichen Ideologie und Ihrer lächerlichen Opferrollenrhetorik zu lösen. Ich wäre überrascht, positiv überrascht. Stattdessen bringen Sie aber immer wieder ein ganz anderes Kunststück fertig: Obwohl ich der Meinung bin, doch inzwischen wirklich nichts Konstruktives mehr von Ihnen zu erwarten, bin ich doch immer wieder von AfDlern enttäuscht. Das muss man erst mal fertig bringen.

Jüngstes Beispiel für diese Glanztaten im Niveau-Limbo (Ist das schon olympisch? Ich wüsste ein paar ernsthafte internationale Konkurrenten...) ist Ihre verunglimpfung von Deutschtürken als "Kameltreiber", die " weit, weit, weit hinter den Bosporus, zu den Lehmhütten und Vielweibern" zurückkehren sollten. Abgesehen davon, dass die von Ihnen reproduzierten Stereotype sich auf eine Türkei von vor Jahrhunderten beziehen (Sehen Sie sich die "Lehmhütten" in Istanbul, Ankara oder Diyarbakır doch mal an...!) und der Begriff "Vielweiber" jedes Sinns entbehrt ("Das Vielweib - die Vielweiber"? Und was kann an einem Weib bitte "viel" sein? Denken Sie nochmal in Ruhe nach, Herr Poggenburg...), entsprechen Ihre Äußerungen natürlich ganz der rassistischen Masche, die die AfD - namentlich die Gruppierung um Ihren Freund Höcke - schon seit längerer Zeit strickt. Was mich trotzdem dazu veranlasst, Ihnen diesen Brief zu schreiben, ist die Unverfrohrenheit, mit der Sie die ganze Sache, als der Skandal endlich groß genug war, als "zugespitzte Politsatire" zum Aschermittwoch relativierten und sich noch zum Verteidiger einer alten Tradition aufschwingen wollten, indem Sie andeuteten, der Brauch der politischen Aschermittwochs sei durch "politische Korrektheit" gefährdet. "Eine Herabsetzung anderer Nationalitäten" liege Ihnen allerdings "völlig fern".
Herr Poggenburg, hier herrscht offenbar ein Mangel an grundlegender Bildungsarbeit. Ich will versuchen, ein wenig zur Behebung dieses Mangels beizutragen.
Erstens: Es gibt - vielleicht ist Ihnen das nicht bekannt - durchaus auch andere Parteien in Deutschland, die Veranstaltungen zum politischen Aschermittwoch durchführen. Diese kommen zwar nicht sämtlich ohne Polemisierung gegen Minderheiten aus - siehe Markus Söders Äußerungen zum Verhältnis von Bayern und Islam - aber zumindest lässt sich keine von ihnen zu so eindeutig rassistischen Schmähungen herab, wie Sie das tun. Der politische Aschermittwoch ist von der Wortwahl her durchaus "etwas derber", wie Ihr Parteichef Meuthen es ausdrückt, für gewöhnlich zieht man jedoch eher über den politischen Gegner her, als die Angehörigen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen zu beleidigen. Derartige menschenverachtende Rhetorik braucht auch ein noch so traditionsbewusster Aschermittwoch nicht.
Und damit wären wir auch schon beim zweiten Punkt, nämlich bei Ihrer lächerlichen Behauptung, die Herabsetzung anderer Nationalitäten sei nicht die Absicht Ihrer Rede gewesen: Nein, Herr Poggenburg. Nein. Diese Behauptung ist so eindeutig verlogen, dass es mir schwer fällt, die richtigen Worte dafür zu finden. Eine Bezeichnung von (Deutsch-)Türken als "Kameltreiber" und "Kümmelhändler", eine Darstellung der Türkei als Land der "Lehmhütten" und "Vielweiber" (Noch einmal: Was für ein Wort!) kann niemand ernsthaft für nicht-rassistisch halten. Wer so etwas verteidigt, ist selbst Rassist. Wer so etwas sagt, will Rassisten hinter sich versammeln, und wenn Sie ehrlich zum von Ihnen so geschätzten "deutschen Volk" sein wollten, würden sie das offen zugeben.

Mit (...) Grüßen

HG


Der Hintergrund:

zeit.de: Rassismusvorwürfe nach "Kameltreiber"-Rede
n-tv.de: AfD-Chef kritisiert Poggenburg ein bisschen

Bildquelle:

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/19/Andr%C3%A9_Poggenburg_in_Hannover_2015-11.png
CC BY 3.0
File:André Poggenburg in Hannover 2015-11.png
Erstellt: zwischen 28. November 2015 und 29. November 2015

Freitag, 2. Februar 2018

Sehr geehrte Frau Högl,

(c) Detlef Eden
als "Erfolg für die SPD" haben Sie kürzlich die Einigung der in der Findung begriffenen Großen Koalition in Sachen Familiennachzug bezeichnet. Wenn das ein Erfolg für Sie ist, kann ich mich nur ernsthaft fragen, welche Ziele die SPD in den Verhandlungen eigentlich vertreten hat? Eine Begrenzung der per Familiennachzug einreisenden Geflüchteten auf 1000 pro Monat ist jedenfalls nicht das, was man allgemein als "humanitäre Flüchtlingspolitik" bezeichnen würde. Zurecht wird jetzt von allen Seiten Kritik laut, denn die Fragen, die schon bei der allgemeinen Obergrenze für die Aufnahme von Geflüchteten gestellt wurden, lassen sich hier wieder stellen: Wer darf rein, wer nicht? Und wer darf darüber anhand welcher Priorisierung bestimmen? Was ist mit der 1001. Geflüchteten, die genausowenig in ihr Heimatland zurück kann, wie alle vor ihr? Ganz ehrlich, Frau Högl, die Regelung, die Sie mit der Union ausgehandelt haben, ist mit Sicherheit alles andere als praktikabel, menschenfreundlich ist sie erst recht nicht.
Auch die in Aussicht gestellte großzügigere Auslegung der Härtefallregelung macht den Kohl nicht fett. Bisher gibt es kaum Fälle, in denen diese Regelung greift, und selbst wenn sich das bessern sollte, hängt die ganze Sache wieder von der willkürlichen Entscheidung irgendeines Menschen ab. Davon darf die Frage nach dem Zusammenleben einer Familie aber nicht abhängig sein, jedenfalls nicht, wenn dies zu verhindern ist.
Eine Begrenzung ist und bleibt eine Begrenzung und das Recht auf Asyl sowie das Recht auf Familie von aus Kriegsgebieten geflüchteten Menschen von einer willkürlich gesetzten Nummer abhängig zu machen ist und bleibt unmenschlich.

Neben der Frage, ob die mit den Unionsparteien getroffene Vereinbarung ein "Erfolg" für die SPD ist, ist noch eine weitere Frage interessant: Ist die Regelung gut für die SPD?
Wenn ich Ihre Worte über den Erfolg der SPD so lese, habe ich das Gefühl, dass Sie versuchen, sich das herbeizureden, was Ihre Partei gerade am nötigsten braucht. Irgendein Erfolg, irgendetwas, das in der Öffentlichkeit ankommt und zeigt: Die SPD ist noch da. Sie ist relevant. Wir können noch einen Unterschied machen. Wir können noch begeistern, verdammt!
Ich gebe zu, dagegen lässt sich erstmal nicht viel sagen. Ein spürbarer Erfolg, ein Erfolg, der auch wahrgenommen wird - das ist tatsächlich genau das, was die Sozialdemokraten gerade brauchen, sowohl für ihr eigenes Selbstbewusstsein, als auch für die Trendwende in den Umfragen. Das große Problem: Um dabei glaubwürdig zu sein, müssten Sie und Ihre Genossen erst einmal so etwas wie einen veritablen Erfolg auf die Beine stellen. Einfach jeden Versuch, etwas zu erreichen, zum historischen Durchbruch zu erklären, einfach, weil man gerade einen braucht, hilft Ihnen nicht weiter. Ihre Genossin Manuela Schwesig scheint das kapiert zu haben und lehnt sich nicht so weit aus dem Fenster.
Aber zurück zur Frage: Ist der Kompromiss beim Familiennachzug gut für die SPD?
Meine Antwort: Nein.
Der Kompromiss ist im Grunde ein Erfolg der CSU, die ihre Position mit einer geringfügigen Veränderung durchdrücken konnte. Je mehr Sie und andere SPDler betonen, was für ein toller Coup Ihnen da geglückt sei, desto mehr fällt allen auf, dass Sie sich da ganz schön haben unterbuttern lassen - und desto mehr gewinnen die Menschen den Eindruck, dass Sie eigentlich kaum politische Arbeit, sondern vielmehr eine als solche Verkleidete Form der Eigenwerbung betreiben. Was belitb, ist das schon seit einigen Jahren immer wieder gern bestätigte Bild einer Verlierer-SPD, die im Grunde kaum noch etwas tut als Wahlen zu verlieren und ihr eigenes Dahinsiechen zu organisieren.
Mein Tipp: Wenn man nicht mit eigenen Erfolgen für sich werben kann, dann lohnt es sich manchmal, es mit klaren Positionen zu tun.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

deutschlandfunk.de: Högl - "Einigung ist Erfolg für die SPD"
zeit.de: Bundestag setzt Familiennachzug bis Ende Juli aus

Bildquelle:

http://www.eva-hoegl.de/wp-content/uploads/2017/05/EvaHoegl_Slideshow_Motiv_1-1024x639.png