Freitag, 31. August 2018

Sehr geehrter Herr Carius,

wenn ich ganz ehrlich bin, muss ich zugeben, dass ich die ganze Aufregung nicht verstehe. Sie als Präsident des Thüringer Landtags haben die Grünen-Abgeordnete Madeleine Henfling des Plenarsaals verwiesen, weil sie ihr sechs Wochen altes Kind mitgebracht hatte. Warum? Sicher kann ein Kind auch mal nervig sein. Es gibt Geräusche von sich, wenn es etwas will, ganz egal, ob vielleicht gerade der Landtagspräsident etwas zu sagen hat. In diesem konkreten Fall hat das Kind aber geschlafen. Die Mutter hatte sich ganz hinten im Saal positioniert, offensichtlich in der Absicht, den Raum zu verlassen, falls sich ihr Kind doch einmal zu lautstark zu Wort melden sollte. Nichts hätte dagegen gesprochen, Frau Henfling einfach ihre Arbeit als Abgeordnete machen zu lassen. Klar, sie beziehen sich in Ihrer Begründung nicht auf zu erwartende Störungen, sondern auf die Geschäftsordnung des Landtags, mit der die Situation nicht vereinbar gewesen sei. Eine Abweichung von der Geschäftsordnung ist allerdings nach §120 derselben zulässig, wenn sich der Landtag mit Zweidrittelmehrheit dafür entscheidet. Sie hätten sich die Sache aber auch noch einfacher machen können: Laut §121 entscheidet, wenn während einer Sitzung Zweifel an der richtigen Auslegung der Geschäftsordnung aufkommen, der Landtagspräsident - also Sie!

Ganz besonders kurios finde ich Ihre Begründung der Maßnahme mit dem Kindeswohl und Ihre Aufforderung an Frau Henfling, sich für ihr Kind doch eine Betreuung zu suchen. Es handelt sich um einen Säugling von sechs Wochen! Wo, glauben sie, geht es einem Kind in diesem Alter besser, als bei seiner Mutter? Ein Kind im Kindergartenalter kann sich durchaus mal für eine gewisse Zeit von den Eltern trennen und mit anderen Erwachsenen vorlieb nehmen. Als Außenstehender von der Mutter eines sechswöchigen Kindes zu fordern, dieses doch einfach tagsüber anderen Menschen zu überlassen, das ist schon ein starkes Stück, eine Einmischung in eine sehr private Entscheidung, die die Mutter zu treffen hat - und zwar ausschließlich mit Blick auf ihr Wohl und das des Kindes, nicht, weil der Herr Landtagspräsident keine Kleinkinder im Plenarsaal wünscht.

Neben allen auf diesen konkreten Fall bezogenen Erörterungen möchte ich auch noch eine allgemeine Frage stellen: Wie familienfreundlich sollen unsere Parlamente sein? Hierzulande gibt es für Parlamentarier*innen keine Elternzeit, in Thüringen auch keine Parlamentseigene Kinderbetreuung. Das Mitbringen von kleinen Kindern in den Plenarsaal wird aber vielerorts geduldet. Ich frage mich: Ist es nicht auch etwas sehr gesundes, lebensnahes, wenn Familie auch im Parlament stattfindet? Eine echte Volksvertretung sollte es Eltern nicht so schwer machen, sich zu beteiligen. Mit welcher Begründung ist das Parlament ein so steril-bürokratischer Ort? Sicher, man will effizient arbeiten, Ablenkungen vermeiden, aber dieses Elite-im-Elfenbeinturm-Gehabe isoliert doch auch von vielem, was für das Leben (auch in Thüringen) sehr wichtig ist. Und wenn in einer Plenarsitzung mal ein Kind schreit oder vernehmlich vor sich hin brabbelt, dann muss es doch möglich sein, das mit Humor und Geduld, im Idealfall sogar mit echter Freude zu nehmen. So viel Lebenszugewandheit erwarte ich von meinen Repräsentant*innen!

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

welt.de: Rausschmiss aus Plenarsaal - Diskussion um Politikerin mit Baby
deutschlandfunk.de: Abgeordnete mit Baby aus Landtag geworfen

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Freitag, 24. August 2018

Sehr geehrter Herr Kretschmer,

es ist schön, dass Sie so ein Urvertrauen in die sächsischen Polizeikräfte zu haben scheinen, aber beim aktuellen Fall haben Sie sich ganz schön in die Nesseln gesetzt. Vielleicht sollten Sie sich tatsächlich nochmal mit der Frage beschäftigen, ob die sächsische Polizei als Ganze Ihr bedingungsloses Vertrauen wirklich verdient.

Ich beziehe mich natürlich auf die Vorgänge auf einer PEGIDA-nahen Demonstration letzte Woche, wo ein Demonstrant Kameraleute des ZDF anpöbelte und sich die Polizei schließlich von ihm dazu bewegen ließ, den Journalisten Arndt Ginzel und seinen Kameramann eine Dreiviertelstunde im Rahmen einer nicht näher spezifizierten "polizeiliche Maßnahme" festzuhalten. Während die Öffentlichkeit noch rätselte, was genau da eigentlich vorgefallen war, wussten Sie schon Bescheid und ließen verlautbaren, "die einzigen Personen, die in diesem Video seriös auftreten" seien Polizisten.

Zunächst lässt sich diese Behauptung anzweifeln, wenn man den Blick darauf lenkt, wann und auf welche Weise die Polizei in den Vorfall eingegriffen hat. Als nämlich der inzwischen deutschlandweit bekannte Demonstrant mit dem Deutschlandhut auf das Kamerateam zukam und es am filmen hindern wollte - was auf Demonstrationen u.Ä. laut Kunsturhebergesetz ohne Einwilligung der dargestellten Personen erlaubt ist - schritt die Polizei nicht ein. Als ein weiterer Demonstrant hinzukam und anfing, an die Kamera zu schlagen, passierte auch noch nichts. Erst als einer der PEGIDA-Demonstranten auf die Polizeikräfte zuging und sie aufforderte, sich mit den beiden Journalisten zu befassen, kamen die Polizist*innen dazu. In der Folge stellten sie sich voll auf die Seite der Pöbler und ließen sich nicht nur die Personalien der Journalisten geben - was sie ja durften - sondern fingen sie wenig später wieder ab und setzten sie eine Dreivertelstunde lang fest, ohne sagen zu können, um welche Art einer "polizeilichen Maßnahme" es sich dabei eigentlich handelte. Wie Sie, Herr Ministerpräsident, da noch von "seriösem Verhalten" sprechen können und in welcher Weise das Verhalten der beiden ZDF-Leute (noch) unseriöser gewesen sein soll, als das der Polizist*innen, das müssen Sie mir erst einmal erklären.

Ein weiteres pikantes Detail: Inzwischen hat sich herausgestellt, dass der Mann mit dem Deutschlandhut, der die ganze Situation provoziert hat, beim Landeskriminalamt Sachsen arbeitet. Er ist zwar kein Polizist, aber wenn ein Angestellter der Polizei massiv die Pressefreiheit behindert und sich dazu sogar noch auf die Unterstützung der Polizist*innen selbst verlassen kann, dann kann die Reaktion nicht sein, die Polizei hier von aller Schuld freizusprechen und nur von "Vorurteilen" gegen die Sicherheitsbehörden zu schwadronieren. Die gibt es sicher auch, aber an dieser Stelle handelt es sich um Urteile anhand konkreter, aktueller Geschehnisse und wenn diese Urteile negativ ausfallen, sollte das nicht zum alleinigen Anlass genommen werden, sie als illegitim darzustellen. Dass Sie selbst offenbar noch keine Ahnung von den näheren Umständen und der Anstellung des Deutschlandhut-Pöblers bei der sächsischen Polizei hatten, als Sie Ihr erstes, sehr entschiedenes Statement abgaben, zeigt, dass Sie ein sehr gutes Bild von Ihrer Polizei und ein großes Vertrauen in sie haben müssen. Sonst wären Sie nicht ohne genaue Kenntnis der Lage so überzeugt von ihrer Unschuld gewesen.
Die Nachbetrachtung des ganzen Vorfalls wiederum zeigt deutlich, dass dies eine Haltung ist, die Sie überdenken sollten.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

fr.de: LKA-Mitarbeiter an der Seite des "Freital, steh auf"-Anführers?
zdf.de: Sachsen-Chef Kretschmer steht hinter der Polizei

Bildquelle:

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(c) Jan Kopetzky

Freitag, 17. August 2018

Sehr geehrter Herr Morawiecki,

ich weiß nicht genau, an wen ich mich mit meinem Anliegen zu wenden habe, da bislang geheimgehalten wird, welches Amt hier tätig geworden ist. Da es sich aber laut polnischer Ausländerbehörde um eine andere Regierungsbehörde handelt, liege ich wahrscheinlich nicht vollkommen falsch, wenn ich Ihnen als Regierungschef schreibe. Es geht um Folgendes:

Ludmila Kozlowska und ihr Mann Bartosz Kramek betreiben eine NGO namens "Stiftung Offener Dialog". Die Stiftung hat es sich zur Aufgabe gemacht, (Menschen-)Rechtsbrüche in verschiedenen osteuropäischen Ländern zu thematisieren und zu kritisieren. Dabei beschäftigte Kozlowska sich vor allem mit der Ukraine - deren Staatsbürgerschaft sie auch besitzt - sowie mit Russland, Kasachstan und Moldau. Kramek hingegen war in Polen aktiv, sprach dort mehrfach Verfassungsbrüche Ihrer Regierung (beziehungsweise der Vorgängerregierung, die auch von Ihrer Partei gebildet wurde und deren Teil sie waren) an und geriet so mit Ihnen und Ihren Leuten aneinander.
Nachdem das Außenministerium vor Gericht mit dem Antrag gescheitert war, den Stiftungsvorstand abzusetzen, kam es nun zu einer - im schlechtesten Sinne - bemerkenswerten Szene: Kozlowska, die mit den Streitigkeiten in Polen gar nicht so viel zu tun hatte, wurde bei einem Besuch in Brüssel von der dortigen Polizei festgenommen und nach Kiev abgeschoben. Der Grund? Das polnische Ausländeramt hatte sie - auf Antrag einer anderen Behörde - als "Ernstfall" ins Schengen-Informations-System (SIS) eintragen lassen, das den Sicherheitsbehörden der Schengen-Länder dazu dient, Informationen miteinander zu teilen. Kozlowska darf nun nicht mehr ohne Weiteres in den Schengen-Raum einreisen, außer sie beantragt ein Visum für eines der Länder und dieses wird auch bewilligt, was mit einem Eintrag im SIS unwahrscheinlich sein dürfte.

Welche Gründe es dafür geben könnte, dass die Sicherheit des polnischen Staates durch Ludmila Kozlowska gefährdet sein könnte, ist bislang nicht bekannt. Schließlich lag ihr Arbeitsschwerpunkt eher in anderen osteuropäischen Ländern. Auch aus diesem Grunde liegt die Vermutung nahe, dass Kozlowska nicht aufgrund eines Verdachts gegen ihre Person auf die Liste gesetzt wurde, sondern wegen des regierungskritischen Engagements ihres Mannes.

Wenn eine solche Sippenhaft in Polen möglich ist - noch dazu für ein so ehrenwertes Nicht-Verbrechen wie die Kritik an einer ohne jede Frage kritikwürdigen Regierung - dann zeigt das einmal mehr, dass sich Polen vom Bild eines demokratischen Rechtsstaats zunehmend entfernt. Als Regierungschef sind Sie dafür maßgeblich mitverantwortlich. Das heißt aber auch, dass Sie einen gewissen Einfluss darauf haben, ob es so weitergeht. Nutzen Sie diesen Einfluss, um die bedrohlichen Entwicklungen aufzuhalten, die in Ihrem Land gerade zu beobachten sind. Europa braucht Polen, aber nicht als das autokratische Regime, auf das Sie gerade zusteuern (auch wenn der Autokrat letztendlich nicht Sie selbst wären, das ist mir schon bewusst...), sondern als Teil einer Koalition gegen repressive und antidemokratische Regimes.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

taz.de: Sippenhaft - Polen deportiert Menschenrechtlerin nach Kiev

Bildquelle:

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(https://creativecommons.org/publicdomain/mark/1.0/)

Freitag, 10. August 2018

Sehr geehrte Frau Grimmenstein,

Anti-Ceta-Demo in Berlin
ich möchte Ihnen an dieser Stelle einfach mal meinen tiefen Respekt aussprechen. Schon Ihre Bürger*innenklage gegen CETA - das inzwischen teilweise in Kraft getretene Freihandelsabkommen der EU mit Kanada - habe ich unterstützt und mitverfolgt. Ich finde es großartig, dass Sie als Privatperson so viel Engagement in diese Sache gesteckt haben und kann mir gar nicht ausmalen, wie viel Arbeit das gemacht haben muss. Der Erfolg der ganzen Aktion ist zwar noch nicht in seinem vollen Umfang bestimmbar, da die Klage auf Eis liegt, bis der Europäische Gerichtshof über eine Klage Belgiens gegen CETA entschieden hat; sicher ist aber, dass Ihr Engagement wesentlich dazu beigetragen hat, die Öffentlichkeit auf eklatante Mängel in CETA und anderen ähnlichen Abkommen aufmerksam zu machen und sogar das geplante Ratifizierungsverfahren sowie einige Inhalte des Vertrags zu ändern.

Umso mehr habe ich mich gefreut, als ich gestern lesen durfte, dass mit der CETA-Bürger*innenklage keinesfalls das Ende Ihres Einsatzes gegen nach Konzernwünschen und entgegen wichtigen Bürger*inneninteressen designte Freihandelsabkommen erreicht ist. Kurz für alle Mitlesenden: Ihr neuer Vorstoß ist hier noch grundlegender als der erste, denn dieses Mal geht es nicht um ein bestimmtes Freihandelsabkommen (obwohl das JEFTA-Abkommen mit Japan aktuell wohl für die meisten Menschen das zentrale Problem darstellt), sondern um derartige Abkommen im Allgemeinen: Mit Ihrer neuen Petition auf change.org fordern Sie die (hierzu berechtigten) UN-Hilfsorganisationen wie z.B. die ILO, WHO und UNICEF auf, beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag ein Rechtsgutachten zu beantragen, dass die Vereinbarkeit von Vertragswerken mit der UN-Charta thematisiert. Der Internationale Gerichtshof soll also offiziell feststellen, dass Vertragswerke nicht gegen die UN-Charta verstoßen dürfen - schließlich steht in der Charta selbst, dass bei einem Konflikt zwischen einem Vertrag und der Charta letztere immer Vorrang habe. Ein solches Rechtsgutachten würde also dazu führen, dass z.B. auch Handelsverträge wie JEFTA auf Vereinbarkeit mit der UN-Charta geprüft werden und nicht vereinbare Teile gestrichen werden müssten. Das könnte zum Beispiel der Fall sein, wenn die in Art. 55 und 56 festgeschriebenen Menschenrechte verletzt werden oder die Souveränität der Mitlgiedsstaaten - letzteres ist bei den sehr umstrittenen privaten Schiedsgerichten der Fall, die in vielen derartigen Verträgen vorgesehen sind, um Unternehmen die Möglichkeit zu geben, gegen aus ihrer Sicht "geschäftsschädigende" Gesetzgebung in Ländern, in denen sie aktiv sind, zu klagen.

Es gibt also die Möglichkeit, die Charta der Vereinten Nationen - auch gerne als ihre "Verfassung" bezeichnet - zu nutzen, um viele der aus sozialer und ökologischer Sicht fragwürdigen Inhalte von Freihandelsabkommen wie CETA oder JEFTA außer Kraft zu setzen. Eine schöne Möglichkeit auch, diesem Regelwerk wieder zu etwas mehr Relevanz zu verhelfen. Vielen Dank, Frau Grimmenstein, dass Sie uns darauf aufmerksam machen! Und dafür, dass Sie es dabei nicht bewenden lassen, sondern wieder einmal die Sache in die Hand nehmen.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

change.org: JEFTA & Co. in Den Haag STOPPEN [Petition + Infotext]
taz.de: Internationaler Gerichtshof soll JEFTA stoppen

Bildquelle:

https://www.flickr.com/photos/mehr-demokratie/29646532234/in/photolist-MaLeau-23k6zAN-npq18T-XqCMo2-UpdL5C-QXExzr-q1yVd9-b4YuQp-S5ZRzQ-6ba5SV-hvG85V-XhJnho-rTohaH-WyaqP8-R1L1ky-UBmSmN-XYKEds-3pxxx5-RUZ9wy-pNgP5J-hsyuSe-bo5cpZ-6LhyRv-6ba5Sv-6ba5U6-XaRCgX-pkS4Aj-nsVgCP-WMcapb-Z6gNJB-qxSsyb-rtNLX5-nreHNC-qQrGZa-pC8big-RY8x3S-8Bhs31-qoaFjU-Y3LD1Z-nscy3s-goLeRk-NMf5Vb-aZbRfP-TpS2C6-qLjyJL-WKKMPK-pkC4oa-SFmnyo-9DWYuA-pmqczQ
(c) Jörg Farys/Die Projektoren. Keine Änderungen vorgenommen. Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/legalcode