Donnerstag, 21. Februar 2019

Sehr geehrter Herr Altmaier,

wer ihnen im Augenblick zuhört, muss Sie fast zwangsläufig für den "überzeugten Europäer" schlechthin halten. So viel wie Sie momentan von "Europäischen Industrie-Champions" reden könnte man meinen, Sie seien nicht der deutsche, sondern der europäische Wirtschaftsminister.
So antiquiert Ihre Fixierung auf die Industrie in einer Dienstleistungsgesellschaft wie der unseren auf den ersten Blick wirkt, an manchen Stellen haben Sie durchaus Recht: So ist beispielsweise Ihr Wunsch, eine europäische Fertigung von Batteriezellen aufzubauen, um für batterieelektrisch betriebene Mobilitätsprodukte - allen voran E-Autos - nicht grundsätzlich auf Importe angewiesen zu sein, durchaus sinnvoll. Schon allein, weil eine europäische Fabrik auch europäische Standards bei Bezahlung und sozialer Absicherung der Belegschaft bedeuten würde.

Die Anforderungen, die Sie an das Konzept einer europäischen Batteriezell-Fertigungsanlage stellen sollten, fangen hier jedoch erst an. Einige wichtige Rohstoffe zur Zellfertigung gelten als Konfliktressourcen, die in ihren Herkunftsländern unter teils katastrophalen Bedingungen abgebaut werden. Von den europäischen Mideststandards bei Arbeitsschutz und Arbeitsbedingungen sowie von der hierzulande üblichen Entlohnung können die dort beschäftigten nur träumen. Selbst faktische Sklaverei und Kinderarbeit kommen vor. Das sind Themen, für die sich ein "Europäischer Champion" der Batteriezellfertigung zu interessieren hat. Für die Vergabe der von Ihnen ausgeschriebenen Förderung sollte die Kontrolle von menschenwürdigen Bedingungen entlang der Lieferkette ein zentrales Kriterium sein!

Doch zurück zu Ihrer industriepolitischen Europabegeisterung. Die wirkt nämlich auf den zweiten Blick schon gar nicht mehr so euphorisch. Ihr Vorhaben, dem Europäischen Rat, also einem Gremium, in dem Vertreter*innen der Nationalstaaten sitzen, ein Vetorecht in Bezug auf Entscheidungen einzuräumen, die die Europäische Kommission trifft, um den innereuropäischen Wettbewerb zu schützen. Eine Verlagerung von Kompetenzen von einem supranationalen auf ein von nationalen Interessen geprägtes Gremium ist ein Rückschritt in der europäischen Integration. Das scheinbar proeuropäische Argument, dies sei für gemeinsame Großprojekte halt nötig, zieht nicht: Vorhaben wie die kürzlich von der Kommission untersagte Fusion der beiden Zugbauer Alstom (aus Frankreich) und Siemens (Deutschland) lassen sich zwar gut als "europäisch" labeln, schaffen aber nichtsdestotrotz Monopolisten auf dem europäischen Markt, die Wettbewerbern kaum eine Chance lassen. Vielleicht ließe sich der Zusammenschluss dennoch rechtfertigen - die Übermacht chinesischer Anbieter mit staatlich subventionierten Schleuderpreisen ist ja auch ein Argument - aber es gibt noch einen Punkt, der dagegen spricht: Ein europäischer Champion ist trotzdem nur eine Firma, die nur in einem oder zumindest in wenigen Ländern Jobs schafft und Steuern zahlt. Die Alstom-Siemens-Geschichte mag für Deutschland und Frankreich reizvoll gewesen sein, die anderen europäischen Länder hätten nciht viel davon gehabt. Um ein "europäisches" Projekt im eigentlichen Sinne handelt es sich also nicht, sondern nur um ein deutsch-französisches. Es gibt einen Weg, dieses Problem zu umgehen - ob der auf Ihre Zustimmung trifft ist aber mehr als fraglich. Würde die europäische Integration weiter vorangetrieben bis zu einem Punkt, an dem nicht nur die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Mitgliedsstaaten vergemeinschaftet (oder zumindest stark harmonisiert), sondern auch die Besteuerung von Unternehmen eine EU-Angelegenheit wäre, dann hätte sich zumindest ein Teil des Problems erledigt. Sicherlich gäbe es immer noch eine gewisse Konkurrenz der Länder (oder dann vielleicht eher: der Regionen) um die Niederlassungen der Unternehmen, weil damit Jobs in der jeweiligen Gegend geschaffen würden. Die Frage nach dem Steueraufkommen aber hätte sich erledigt - die EU könnte die Steuern einstreichen und dann so verteilen, dass die gesamte Union davon profitierte. Nur so währen tatsächlich "europäische" Champions überhaupt möglich. Eine solche Union bräuchte natürlich auch tiefgreifende Reformen in Sachen demokratische Teilhabe. Es würde im Grunde auf eine föderale Republik Europa hinauslaufen. Solange sich zu derartigen Umwälzungen niemand bereitfindet - und ich gehe davon aus, dass das noch eine ganze Weile lang der Fall sein wird - sind "Europäische Industrie-Champions" eher eine Bedrohung als ein Segen für die europäische Idee.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

spiegel.de: Altmeier und Le Maire wollen europäische "Industrie-Champions"
welt.de: Der ehrgeizige Industrie-Plan von Deutschland und Frankreich

Bildquelle:

https://peteraltmaier.de/wp-content/uploads/2017/08/person1.jpg

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