Donnerstag, 14. Februar 2019

Sehr geehrter Herr Köhler,

wenn in zwanzig Jahren noch einmal jemand auf diesen Fall stoßen sollte, müsste sie oder er das Ganze für einen Witz halten: Der hehre Kämpfer für Sachlichkeit und Wissenschaftlichkeit scheitert schon an Grundschul-Rechenaufgaben und widerlegt so seine eigene These. Leider ist die Geschichte bittere Realität - und das zeigt einmal mehr, dass kein Berufszweig, und mag er noch so hohes Ansehen genießen, gegen die Versuchung gefeit ist, sich für beliebige Lobbyinteressen instrumentalisieren zu lassen.

Dass Sie direkte Zahlungen von der Autolobby erhalten hätten will ich noch nicht einmal behaupten. Sie hatten auch so Ihren Vorteil: Ihre paar Wochen Aufmerksamkeit, ein paar Talkshows und so weiter. Mehr brauchte es vielleicht gar nicht, um Sie davon zu überzeugen, es mit der Wissenschaftlichkeit selbst nicht so genau zu nehmen, wenn Sie anderen Leuten Unwissenschaftlichkeit vorwerfen. Ihre Behauptung, die Grenzwerte für Stickstoffemissionen stünden auf einem wackligen Fundament und seien wissenschaftlich nicht fundiert, haben letzten Monat ziemliche Aufregung ausgelöst. Dass Ihre Selbstdarstellung als "einer der wenigen Experten auf diesem Gebiet" lediglich auf Ihrer früheren beruflichen Tätigkeit als Lungenfacharzt fußt, Sie aber nie in diesem Bereich geforscht oder publiziert haben und sich Ihrer Darstellung der Sachlage auch nur 112 der 3800 angefragten Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie anschließen wollten, änderte nichts daran, dass Ihre Behauptungen in der öffentlichen Darstellung als gleichberechtigte Expertenmeinung neben die vom Rest der Fachwelt vertretene Auffassung gestellt wurde.

Das stellt keinesfalls die Dikussionslage in Fachkreisen dar, hätte sich aber bis jetzt wahrscheinlich noch nicht geändert - wenn Sie sich nicht ein paar ganz gewaltige Anfängerfehler erlaubt hätten. So ist endlich jemandem aufgefallen, dass Sie sich bei Ihrem Lieblingsargument - dem Vergleich des Stickstoffdioxid- und Feinstaubgehalts der Luft, die ein Mensch in einer deutschen Großstadt atmet mit dem der Luft, die beim Rauchen einer Zigarette aufgenommen wird - verrechnet haben. Und zwar nicht nur um eine unbedeutende Nachkommastelle. Vielmehr haben Sie Ihr eigenes Rechenergebnis mal eben verhundertfacht. Wenn man zusätzlich berücksichtigt, dass Sie mit den Zahlen für NOX-Emissionen rechnen, wo es eigentlich lediglich um NO2-Emissionen geht, die nur ein Zehntel davon ausmachen, geben Sie also den tausendfachen Wert des eigentlichen Ergebnisses Ihrer Rechnung an. Ganz klar, bei populistischer Stimmungsmache gilt: Nicht kleckern, klotzen!

Dass Sie beim Feinstaubgehalt einer Zigarette Werte zugrunde legen, die seit anderthalb Jahrzehnten verboten sind und sich dann noch beim Vergleich mit den Grenzwerten verrechnen fällt dann schon fast gar nicht mehr ins Gewicht. Auch die Hinweise der Fachwelt, dass Ihr Vergleich mit dem Rauchen schon deshalb nicht hinkommt, weil es für die Gesundheit einen Unterschied macht, ob man für jeweils eine Zigarettenlänge schmutzige, zwischendurch aber sauberere Luft einatmet, oder ob man über seine gesamte Lebenszeit hohen Konzentrationen von NO2 und Feinstaub ausgesetzt ist - geschenkt. Bei der Zahl Ihrer Fehler und Ungenauigkeiten ist auch so klar, dass von Ihrer Analyse nicht viel zu halten ist. Sie betreiben Propaganda auf ganz niedrigem Niveau und verkleiden sie als die "wahre" Wissenschaft. Die Methode ist nicht neu. Andere haben das schon weitaus geschickter versucht, wenn es beispielsweise um den Klimawandel ging.

Letztlich belibt von Ihren Bemühungen nur die Erkenntnis, dass sich da jemand in eine Debatte eingemischt hat, von der er keine Ahnung hat (was an sich noch nichts Schlimmes ist), sich dabei - und hier liegt der Fehler - als einziger echter Experte aufgebrezelt und mit fehlerhaften und auf falschen Daten basierenden Situationsanalysen um sich geworfen hat, um der Öffentlichkeit weiszumachen, es gebe hier in Expert*innenkreisen noch Diskussionsbedarf. Das ist, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, ziemlich arm und hinterlässt von Ihnen nur den Eindruck eines weiteren Menschen, der sich genau so lange im Kameralicht sonnen durfte, wie er dort einer einflussreichen Lobby von Nutzen war. Keine sehr erhebende Bilanz, oder?

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

taz.de: Lungenarzt mit Rechenschwäche
tagesspiegel.de: Lungenarzt Köhler gesteht Rechenfehler bei Grenzwerten ein


Bildquelle:

https://pixabay.com/de/gekritzel-auto-abgase-1388117/

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