Montag, 7. Januar 2019

Sehr geehrter Herr Scholz,

schön, dass Sie sich das Amt des Bundeskanzlers zutrauen. Aber die Info hätten Sie auch ruhig für sich behalten können. Wie Sie selbst es im selben Interview so treffend formulierten: "Weder bei der Union noch bei uns steht diese Frage heute aber an". Das wäre die perfekte Antwort auf die Frage nach Wahl und Kanzlerschaft gewesen. Ohne alles, was Sie vorher dazu gesagt haben...

"Die SPD will den nächsten Kanzler stellen" - da fängt es doch schon an. Die SPD kann viel wollen, aber angesichts von Umfragewerten von 14-16 Prozent ist der Einzug eines SPD-Mitglieds ins Kanzleramt im Augenblick als utopisch zu bezeichnen. Die Ankündigung, den nächsten Kanzler (von einer Kanzlerin ist bei Ihnen nicht die Rede...) stellen zu wollen, überzeugt noch niemanden, SPD zu wählen. Sie scheinen da die Reihenfolge zu verwechseln - gute Wahlergebnisse (oder Umfragewerte) begründen den Anspruch aufs Kanzleramt, nicht andersherum. Wenn es so einfach wäre, würden sich Wahlkämpfe darauf beschränken, dass sich die Spitzenkandidierenden gegenseitig versichern, wie gern sie Kanzler*in wären.
Sie müssen also zunächst einmal eine Menge Leute davon überzeugen, Sie zu wählen. Der seriöse Weg dazu wäre, eine verlässliche Vorstellung von guter Politik zu entwickeln und diese im öffentlichen Diskurs mit anderen Parteien und gesellschaftlichen Akteur*innen zu vertreten. Wenn der SPD an dieser Stelle allerdings nur einfällt, dass sie "den nächsten Kanzler stellen" will, ist die größte Gefahr, dass die Menschen ihr diese Zielsetzung abnehmen - im Wortsinn. Die Union, so hört man dann (in geradezu krimineller Verkürzung und klischeeisierung der Wahlprogramme), will Sicherheit, die FDP will Freiheit, die Grünen wollen Umweltschutz, die Linke will Gerechtigkeit - die SPD aber will den Kanzler stellen. Wie viel weniger Visionär kann man rüberkommen?

Und auch über Ihre persönlichen Ambitionen kann man noch das eine oder andere Wort verlieren. Auch wenn Sie Ihre Aussagen gleich wieder relativiert haben, indem Sie darauf hinwiesen, dass das Thema Kanzlerschaft im Moment nicht auf der Tagesordnung stünde, die Ansage war deutlich: Sie wollen Kanzler werden, zunächst also Kanzlerkandidat Ihrer Partei. Dieser Anspruch kommt für die SPD zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Erstens macht man sich als 15-Prozent-Partei mit Kanzleramtsambitionen eher lächerlich, zweitens gibt es bereits genug Konflikte bei den Sozialdemokraten. Niemand hat Bedarf an einer völlig verfrühten Debatte über die Kanzlerkandidatur. Mit Ihren Äußerungen betreiben Sie nur die weitere Spaltung der SPD - schließlich begründen Sie Ihre Bereitschaft zur Kandidatur mit einem Verweis auf Annegret Kramp-Karrenbauer, die neue CDU-Chefin. Deren Pendant in der SPD sind aber nicht Sie, sondern Andrea Nahles, die Sie in Ihre Zukunftsvisionen nicht einbeziehen. Was meinen Sie, wie sich das auf Ihr Verhältnis zu Ihrer Parteichefin auswirkt?

Nun gut, vielleicht sollte man den Fall aber auch nicht überbewerten. Schließlich kann sich momentan kaum jemand vorstellen, dass Sie es tatsächlich zum Kanzler bringen. Dafür steht die SPD zu schlecht da. Bei der Frage, ob Sie zumindest Kanzlerkandidat werden, geben Sie sich selbstbewusst und verweisen auf gute Zustimmungswerte in der Bevölkerung. Auch hier halte ich jedoch Vorsicht für angebracht - auch Martin Schulz hatte mal exzelente Beliebtheitswerte - und Sie haben bis zur Wahl sogar noch viel mehr Zeit als er, um alles ins Gegenteil zu verkehren. Mein Vorschlag: Finanzminister ist ein verantwortungsvoller Job. Erledigen Sie den erstmal einigermaßen zufriedenstellend, dann lässt Ihre Partei vielleicht auch in Sachen Kandidatur mit sich reden - ein paar Monate vor der Wahl, nicht ein paar Jahre.

Mit freundlichen Grüßen

HG


Der Hintergrund:

zeit.de: Olaf Scholz hält sich für aussichtsreichen Kanzlerkandidaten
welt.de: Scholz will die Kanzlerkandidatur. Will die SPD Scholz?

Bildquelle:

https://www.olafscholz.de/media/public/db/media/1/2011/01/207/olaf_scholz_2011_01.jpg

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