Samstag, 29. Dezember 2018

Sehr geehrter Herr Morawiecki,

mit großer Freude nehme ich zur Kenntnis, dass Sie offenbar meine Blogeinträge lesen und meinen Rat beherzigen. Vor vier Monaten habe ich Ihnen geschrieben. Es ging um Menschenrechtsverletzungen, das Unterdrücken Regierungskritischer Äußerungen, um einen Umgang mit einer Menschenrechts-Aktivistin, der eines demokratischen Staates nicht würdig ist und klar gegen die Anforderungen an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verstößt, den die EU an ihre Mitgliedsstaaten stellt. Polen, so schloss ich meinen Brief, wird in der EU gebraucht - aber nicht als autokratisches Regime, sondern als einen Partner im Kampf gegen repressive Praktiken und für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Jetzt, vier Monate später, scheint die Botschaft bei Ihnen angekommen zu sein: "Wir sind das schlagende Herz Europas", verkündeten Sie jüngst bei einem Parteitag Ihrer Partei mit dem wohlklingenden Namen "Recht und Gerechtigkeit" (PiS). Das ist neu, das ist überraschend - und macht ein bisschen misstrauisch. Die PiS war bislang immer äußerst europakritisch eingestellt. Ständig wurde über die Bevormundung aus Brüssel geschimpft und die nationale Souveränität als Leitbild hochgehalten. Eine gemeinsame Lösung der europäischen Solidaritätskrise mit Geflüchteten war mit Ihrer Regierung, Herr Morawiecki, nicht zu machen und wenn man polnische Regierungsvertreter*innen auf die schrittweise Gleichschaltung der Medien und die Versuche anspricht, auch die Justiz unter Regierungskontrolle zu bringen, erhält man in der Regel keine Antworten, die sich als Bekenntnis zu gemeinsamen europäischen Vorstellungen von Demokratie und Rechtsstaat missverstehen ließen. Forderungen der EU nach mehr Rechtsstaatlichkeit werden dann auch konsequent als illegitime Eingriffe in die nationale Souveränität Polens dargestellt - obgleich lediglich gefordert wird, dass Polen Verpflichtungen einhält, die es beim Eintritt in die EU aus freien Stücken eingegangen ist.

Es ist also fraglich, ob Ihre plötzlich aufkeimende Europa-Begeisterung tatsächlich ist, was sie zu sein scheint. Aus oppositionellen Kreisen werden auch andere Deutungsvorschläge laut: Im Herbst des kommenden Jahres sind die nächsten Parlamentswahlen angesetzt und da die Bevölkerung Polens überwiegend proeuropäisch eingestellt ist, lassen sich mit einer Neupositionierung eventuell noch ein paar Stimmen fangen. Andererseits ist zu erwarten, dass dieses Manöver bis zum Herbst durschaut werden wird - schließlich ändert sich nichts an der Partei und im Grunde auch nichts an ihren Zielen und ihrer Einstellung zur EU. Deshalb wird Ihr scheinbarer Sinneswandel auch als Zeichen gewertet, dass es zu vorgezogenen Wahlen kommen könnte. Das könnte beispielsweise passieren, wenn das Parlament den Haushalt fürs kommende Jahr nicht schnell genug beschließt. Dieser hängt schon seit Monaten in einem Parlamentsausschuss fest - wenn er ab dem ersten Zusammentreffen des Abgeordnetenhauses nach Weihnachten nicht binnen drei Tagen von beiden Parlamentskammern verabschiedet wird, kann Präsident Duda den Sejm (Abgeordnetenhaus) vorzeitig auflösen. Das käme fürIhre Partei ganz gelegen - schließlich wird davon ausgegangen, dass sowohl die Europawahlen im Mai als auch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs, das für Ende März erwartet wird, sich eher negativ auf die Umfragewerte der PiS auswirken dürften. Parlamentswahlen noch im März wären also für Sie am bequemsten. Speist sich Ihre neuentdeckte Europaleidenschaft vielleicht aus dieser Erwartung? Ich hoffe nicht, denn Europa könnte ein bisschen mehr Mitarbeit und Unterstützung aus Polen gut gebrauchen.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

taz.de: Plötzlich proeuropäisch
bpb.de: Analyse - Turbulenzen in der polnischen Justiz

Bildquelle:

https://www.flickr.com/photos/premierrp/30041973078/
(https://creativecommons.org/publicdomain/mark/1.0/)

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