Sonntag, 9. Dezember 2018

Sehr geehrte Frau Kramp-Karrenbauer,

(c) Olaf Kosinsky
zunächst mal herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Wahl zur neuen CDU-Parteichefin! Ich bin gespannt, was Sie aus der Partei machen - jetzt, wo sich nach 18 Jahren Merkel kaum noch jemand erinnern kann, wie es ist, wenn die Vorsitzende wechselt. Ich bin auch ehrlich gesagt ganz erleichtert, dass Sie gewählt wurden und nicht einer Ihrer beiden Mitbewerber. Klar, auch Sie sind in meinen Augen nicht die perfekte künftige Kanzlerin (und diese Perspektive wird ja bei der ganzen Merkel-Nachfolge-Geschichte schon von Anfang an mitgedacht). Unvergessen bleiben beispielsweise Ihre Äußerungen über die Ehe für alle, insbesondere das Interview aus dem Jahr 2015, in dem Sie sich zu der Behauptung verstiegen, wenn die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet werde, könne es gut sein, dass bald auch eine Heirat von engen Verwandten erlaubt sei. Ich werde also mit Sicherheit nicht wegen Ihnen auf einmal zum CDU-Wähler. Auf der anderen Seite muss man aber auch im Auge behalten, über welche Partei wir hier reden: Es ist traurig, aber viel progressiver wird es momentan nicht in der CDU. In Sachsen wird von Funktionär*innen laut über eine Zusammenarbeit mit der AfD nachgedacht, in Sachsen-Anhalt stimmen schon mal Teile der Landtagsfraktion für einen AfD-Antrag und überall in der Republik schreien Unionspolitiker*innen nach schärferen Sicherheitsbestimmungen, mehr Rechten für die Polizei, wenn es darum geht, Grundrechte einzuschränken und einer stärkeren Untersuchung des Linksterrorismus, frei nach dem Motto: Wenn wir ihn nur gründlich genug suchen, werden wir schon welchen finden - ungeachtet der Tatsache, dass uns der Rechtsterror geradezu ins Gesicht springt. Bevor also einer Ihrer Mitbewerber die Partei in den nächsten Jahren anführt, die ja beide ein ganzes Stück rechts von Ihnen eingeordnet werden, freue ich mich, dass die CDU sich mit Ihnen ein für ihre Verhältnisse moderates Gesicht ausgesucht hat.

Ich schreibe Ihnen jedoch nicht nur zum Gratulieren. Vielmehr ist mir schon in Ihrem ersten ARD-Interview als Parteivorsitzende etwas aufgefallen, was ich für einen eklatanten Denkfehler halte.
Im Interview kündigen Sie an, in Ihrer Partei noch einmal das Thema Migration diskutieren zu wollen, quasi als eine Art abschließende Klärung des Komplexes. So, wie sie das darstellen, wirkt es tatsächlich so, als gingen Sie davon aus, die Fragen von Migration und innerer Sicherheit, die Sie im Interview miteinander verknüpfen, einfach dadurch klären zu können, dass Sie vorher festlegen, dass dies nun aber wirklich das letzte mal sei, dass man diese Themen diskutiere. Am Ende des Prozesses steht dann eine gemeinsame Position im Europawahlprogramm und damit ist die Diskussion abgeschlossen.
Frau Kramp-Karrenbauer, ich glaube nicht, dass es so einfach ist. Ich bin kein CDU-Mitglied, aber auch von außen ist klar zu erkennen, dass die CDU in Sachen Migration tief gespalten ist. Der Anspruch, dem Parteinamen gemäß christliche Nächstenliebe zu üben, steht hier den schon beschriebenen Tendenzen von Teilen der CDU gegenüber, die Nähe der AfD zu suchen und sich ihren Positionen an vielen Stellen anzuschließen. Egal, wie eine gemeinsame Positionierung aussehen würde, sie würde den Streit nicht befrieden: Entweder, sie würde von den Ansichten einer der beiden Seiten dominiert, was die andere Seite zum Widerstand anstacheln würde, oder die letztlich ausgehandelte Position wäre so unbestimmt und nichtssagend, dass keine von beiden Seiten wirklich zufrieden wäre und die Vereinbarung auch keine Bindungskraft entfalten könnte. In jedem Fall würde weiter über das Thema gestritten.
Sicher fühlen Sie sich durch die migrationspolitischen Blendgranaten Ihrer beiden Mitbewerber dazu getrieben, in diesem Bereich aktiv zu werden. Sie glauben, die Bedürfnisse der CDU-Basis zu erfüllen, wenn Sie sich mit Migration - insbesondere mit deren Begrenzung - befassen. Das Problem: Die CDU-Basis, genau wie viele andere Menschen in diesem Land, würde dem Thema Migration wahlrscheinlich gar keinen so hohen Stellenwert einräumen, wenn es nicht alle paar Tage von einem Spahn, einem Seehofer oder einer Wagenknecht mit Gewalt wieder aufs Parkett gezerrt werden würde. Statt die Probleme unserer Gesellschaft eins nach dem anderen zu lösen, glauben wir den Leuten, die behaupten, dass mit der Lösung der Migrationsfrage (und zwar am liebsten durch faktische Abschaffung von Migration) auch alle anderen Probleme einfach verschwinden würden - genau das steckt nämlich hinter Seehofers "Mutter aller Probleme"...

Die Ausfälle anderer Politiker*innen können Ihnen natürlich nicht zur Last gelegt werden. Eins müssen aber auch Sie sich fragen: Wem ist damit geholfen, wenn noch eine Spitzenpolitikerin mehr die Migration zur bestimmenden Frage erklärt, indem sie auf die Forderungen derjenigen eingeht, die schon seit Jahren Alarmismus und Panikmache betreiben? Nicht, dass nicht auch über Migration geredet werden muss - genau das wurde ja in den letzten Jahren auf internationaler Ebene gemacht, das Ergebnis ist der UN-Migrationspakt. Wenn Sie aber im Kontext der Forderungen von Jens Spahn und der "nicht so gemeinten" Vorschläge von Friedrich Merz jetzt als erste Amtshandlung das Thema Migration auf die Bühne hieven, geben Sie der Diskussion nicht nur einen Stellenwert, den sie momentan nicht hat, sondern auch eine deutliche Schlagseite in Richtung einer rechten Angst vor Migration mit auf den Weg. Diese Angst vor Nachteilen durch Migration, die in Teilen der Bevölkerung herrscht - sie hat auch hier ihren Ursprung.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

tagesschau.de: Merkel Paroli bieten, "wo es notwendig ist"
faz.net: Saarländische Ministerpräsidentin weiterhin gegen "Ehe für alle"

Bildquelle:

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/1/1b/Kramp-Karrenbauer_CDU_Parteitag_2014_by_Olaf_Kosinsky-24.jpg/1024px-Kramp-Karrenbauer_CDU_Parteitag_2014_by_Olaf_Kosinsky-24.jpg
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en
Foto von Olaf Kosinsky

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