Freitag, 17. März 2017

Sehr geehrter Herr Haseloff,

"Phantomverbot" nennt Spiegel Online das, was Sie gerade vorhaben. Der Begriff ist nicht schlecht gewählt. Natürlich passt das Vorhaben, Auftritte türkischer Politiker und insbesondere Präsident Erdoğans in Sachsen-Anhalt zu verbieten, wunderbar in die aktuelle Debatte. Hat nicht ein gewisser Herr Rutte gerade die niederländischen Wahlen gewonnen, indem er türkischen Wahlkampfauftritten einen Riegel vorschob? Hat er nicht genau mit dieser Maßnahme dem Rechtspopulisten Geert Wilders Einhalt geboten, der die Wahl schon zu gewinnen drohte? Hurra! Endlich können wir Grundrechte außer Kraft setzen und uns dafür als Bollwerk gegen den Rechtspopulismus feiern.

Denn genau das machen Sie, wenn Sie Erdoğan und seinen Ministern ein pauschales Auftrittsverbot aussprechen. Dabei geht es weniger darum, was Erdoğan eigentlich zu sagen hat. Statt Werbung für die Schaffung eines Führerstaats zu machen, könnte er auch Dosensuppen anpreisen. In dem Moment jedoch, in dem man ihn daran hindert, wird deutlich, dass unbequeme Meinungen hier keinen Platz haben und man sich ihrer zu entledigen sucht. Natürlich erscheint es unerträglich, einem Autokraten, der noch dazu alle, die ihm widersprechen, als Faschisten oder Terroristen bezeichnet, hier im Land eine Bühne zu bieten. Wenn er in seinem Land keine Meinungsvielfalt zulässt, warum - so könnte man fragen - sollten wir dann hier bei uns seine Propaganda tolerieren?
Der Grund ist einfach: weil wir nicht Erdoğan sind. Wir sind keine Autokraten, keine Gesellschaft, in der nur eine Meinung zulässig ist. Wir sind Demokraten und nach demokratischen Grundsätzen müssen wir handeln. Das wiederum heißt nicht nur, dass wir uns an Gesetzestexte halten müssen, wo ein Erdoğan stur seinen Kopf durchsetzt. Es heißt, dass wir die Ideen, die hinter diesen Gesetzestexten stecken, verinnerlichen und nach außen hin demonstrieren müssen. Wenn also ein solcher Despot in unser Land kommt und sich hier auf legale Weise eine Auftrittsmöglichkeit verschafft, wenn tausende Bürger unseres Landes ihn sehen und hören wollen - dann sind wir verpflichtet, mit knirschenden Zähnen dazustehen, und ihn gewähren zu lassen, bis er gegen ein Gesetz verstößt. Erst dann dürfen wir eingreifen. Das heißt natürlich nicht, dass wir ihm nicht widersprechen dürfen. Das müssen wir sogar. Es heißt aber, dass wir die Vorteile einer Demokratie gegenüber einer im Entstehen begriffenen Diktatur nur verständlich machen können, wenn wir diese Vorteile ohne Ausnahme gewähren. Das schlimmste, was wir der Demokratie antun können ist, sie unglaubwürdig zu machen.

Doch selbst, wenn Ihre Forderung nach einem Auftrittsverbot generell einen Sinn hätte, wäre sie doch hier in Sachsen-Anhalt denkbar zwecklos. Kein einziger türkischer Politiker hat sich bislang gemeldet, der einen Auftritt hier in Betracht gezogen hätte. Schließlich wohnen die wenigsten all der Menschen mit türkischem Pass, die bei dem Referendum in der Türkei Wahlrecht haben, in Sachsen-Anhalt. Sie verbieten also Auftritte, die sowieso niemals stattgefunden hätten und damit wären wir wieder beim Spiegel und seinem "Phantomverbot". Reine Symbolpolitik - aber mit dem falschen Symbol.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

SPIEGEL ONLINE: Nächstes Bundesland erteilt Phantomverbot

Bildquelle:

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/74/Reiner_Haseloff_%28Martin_Rulsch%29_09.jpg


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