Freitag, 14. September 2018

Sehr geehrter Herr Maaßen,

ganz ehrlich, das nimmt Ihnen doch keiner ab. Erst in Hinblick auf ein Video, das die Jagd Rechtsextremer auf Menschen in Chemnitz zeigt, von "gezielter Falschinformation" sprechen (wohlgemerkt ohne dafür Beweise oder auch nur unbestimmte Hinweise zu nennen) - und dann auf einmal behaupten, es sei Ihnen nur darum gegangen, ob auf dem Video tatsächlich eine "Hetzjagd" oder doch irgend etwas anderes zu sehen gewesen sei. Geht's noch?!? Die ganze Diskussion darum, ob es sich nun um "Hetzjagden" gehandelt habe, oder ob doch eine andere Vokabel passender gewesen wäre, ist schon ziemlich zynisch. Schließlich waren am nächsten Tag Hitlergrüße zu sehen, es wurde von brennenden Menschen gesprochen und eine Woche später zogen am Rande des "Trauermarsches" der AfD vermummte rechte Schlägertrupps durch die Straßen von Chemnitz und jagden Journalisten und Gegendemonstrant*innen.

Sicher, der sorgsame Umgang mit Begriffen - insbesondere mit solchen, die ein Thema emotional aufladen - ist wichtig. Wenn Sie als Verfassungsschutzpräsident aber vor dem gegebenen Hintergrund die Frage nach dem richtigen Begriff für die chemnitzer Gewalttaten öffentlich in den Mittelpunkt stellen, wenn Sie außerdem eine gezielte Desinformation unterstellen (übrigens nicht nur Linksextremen, sondern auch der Kanzlerin, die den Begriff "Hetzjagden" ebenfalls verwendete), dann zeigt das ganz deutlich, welchen Stellenwert Sie dem Thema "rechtsextreme Gewalt" in Ihrer Arbeit einräumen. Fast noch schlimmer: Sie bestätigen mit solchen unbewiesenen Verdächtigungen nur die Verschwörungstheorien, die sowieso schon jede rechte Filterblase fast zum Platzen bringen. Die gefühlte Teilung in "die da oben" und "uns hier unten" ist eine Folge genau der Denkweise, die Sie mit Ihren Anschuldigungen befeuern. Solange Sie auch im Nachhinein keine besseren Beweise für Ihre Vermutungen vorzubringen haben, als die Behauptung, dass Fälschungen und Falschdarstellungen in extremistischen Kreisen nun einmal öfter vorkommen, sollten Sie über derartige Mutmaßungen lieber Stillschweigen bewahren. So viel Sachverstand im Umgang mit Informationen darf ich dem Chef eines Geheimdienstes wohl zutrauen. Die Schlussfolgerung: Es handelt sich nicht um ein Versehen oder ein Missverständnis. Sie drücken sich so aus, wie Sie auch verstanden werden wollen - angesichts der mangelnden Beweise für das, was Sie behauptet haben, könnte man also Ihnen vorwerfen, was Sie anderen zur Last legen wollten: gezielte Falschinformation.

Die Folgen derart leichtsinniger Beiträge sehen wir prompt: Die AfD in Sachsen-Anhalt bedient sich der gleichen Mittel wie Sie. Wenn etwas nicht in ihr Weltbild passt, wird es als Lüge dargestellt. So geschehen nach den Ereignissen in Köthen, wo ein Mensch starb, nachdem er in einer Schlägerei mit zwei Menschen afghanischer Herkunft verletzt worden war. Erst war von einem Mord, von Tritten gegen den Kopf die Rede. Dann ergab die Obduktion, dass es die Tritte zum Kopf nicht gegeben haben kann und der Mann an einem Herzinfarkt aufgrund eines angeborenen Herzfehlers starb. Die AfD wusste es natürlich besser und bezweifelte die Authentizität des Obduktionsberichts.
Zugegeben, das Mittel ist keinesfalls neu. Es wird schon lange von allen möglichen Rechten und Verschwörungstheoretiker*innen angewandt, deren Thesen auf die eine oder andere Art widerlegt wurden. Auch die AfD hat sich schon darin geübt und sich die Sache selbstverständlich nicht nur von Ihnen abgeguckt. Verunsicherungsaktionen wie Ihre lassen aber die prinzipielle Ablehnung der AfD von allem, was nicht ihrem Weltbild entspricht, wie gesunde Skepsis an einem durch und durch verlogenen Staats- und Mediensystem aussehen. Sie verschaffen diesen Leuten den Anschein von Glaubhaftigkeit, den sie dann im schlimmsten Fall eins zu eins in Wähler*innenstimmen ummünzen.

Dass Sie ernsthaft etwas gegen Rechtsextremismus haben glaubt inzwischen wohl kaum noch jemand. Wollten Sie das noch ändern, müssten Sie sich schon sehr anstrengen. Ein Vorschlag: Kommen Sie am Sonntag nach Köthen. Stellen Sie sich nicht zu den Leuten, die Ihnen zujubeln, sondern zu denen, die Sie ausbuhen - dann sind Sie bei denen, die sich den Nazis entgegenstellen. Lassen Sie sich auf dieser Gegendemo ein Mikro geben, entschuldigen Sie sich öffentlich für Ihre Äußerungen - und geben Sie Ihren Rücktritt bekannt. Danach erwarte ich von Ihnen ein Leben in linker Einkehr als ständiger Anti-Nazi-Demonstrant und Demo-Pilgerer. Es wird hart für Sie - aber da müssen Sie durch. Erlösung durch Leiden... Einige Religionen schwören drauf.

Mit freundlichen Grüßen

HG


Der Hintergrund:

zeit.de: Maaßen distanziert sich nicht von Hetzjagd-Äußerung
zdf.de: "Hetzjagd"-Video aus Chemnitz

Bildquelle:

https://de.wikipedia.org/wiki/Hans-Georg_Maa%C3%9Fen#/media/File:Hans-Georg_Maa%C3%9Fen_01.jpg
(c) Bundesministerium des Innern/Sandy Thieme https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/legalcode

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