Samstag, 16. September 2017

Sehr geehrter Herr Wiegand,

seit den Krawallen in Hamburg beim G20-Gipfel im Juli haben es linke Kulturzentren in Deutschland nicht leicht. Die Anschuldigungen gegen die Rote Flora im hamburger Schanzenviertel wurden von wahlkämpfenden Konservativen flugs auf alles bezogen, was sich links nennt. Besonders die Hausbesetzerszene ist stark unter Druck geraten - den Verantwortlichen und Besuchern von Kulturzentren in besetzten Häusern wird inzwischen gerne pauschal Gewaltbereitschaft, von einigen Scharfmachern sogar Linksterrorrismus unterstellt - für gewöhnlich, ohne konkrete Beispiele für Gewalt der Besetzer zu nennen.

So gesehen sind die Vergehen, die dem Hausprojekt in der Hafenstraße sieben ("Hasi") in Halle (Saale) vorgeworfen werden, eher als harmlos zu bezeichnen. Hauptsächlich ist von Ruhestörung die Rede. Außerdem wurden am Tag einer geplanten Nazi-Demo ein paar Vermummte beim Betreten des Gebäudes gesehen (laut Hasi Gegendemonstranten, die auf der Flucht vor gewaltbereiten Nazis waren) und einmal wurde auf dem Dach Pyrotechnik abgebrannt (Hasi: nicht abgesprochen, Zugang zum Dach inzwischen verschlossen). Während CDU-Stadträte von Beschwerdebriefen der Anwohner erzählen, äußern sich andere Anwohner der Mitteldeutschen Zeitung gegenüber sehr positiv und finden die Hausbesetzer äußerst rücksichtsvoll. Auch per Brief hat der Aufsichtsrat der städtischen HWG, in deren Besitz sich das Gebäude befindet, positive Darstellungen des nachbarschaftlichen Verhältnisses zur Hasi erhalten.

Herr Oberbürgermeister Wiegand, als Sie von den Beschwerdebriefen hörten, haben Sie die Kritiker der Hasi eingeladen, mit Ihnen ins Gespräch zu kommen. Das ist richtig. Die Sorgen der Menschen müssen gehört werden und es muss nach Möglichkeiten gesucht werden, ihnen gerecht zu werden. In diesen Prozess muss aber auch die andere Seite einbezogen werden - also die Betreiber der Hasi und die Befürworter dieses Projekts.
Seit etwa anderthalb Jahren ist das Haus besetzt und fast ebensolange gibt es einen Nutzungsvertrag mit der HWG, der zunächst bis zum 30.09.2017 befristet war. Die Betreiber versichern, sich immer an die Auflagen gehalten zu haben und ihnen wurden gleich zu Beginn "wohlwollende Gespräche" über die Zukunft des Projekts versprochen. Diese Gespräche haben bis heute nicht stattgefunden, der Nutzungsvertrag aber läuft bald aus.

Der Betreiberverein "Capuze e.V." war in den anderthalb Hasi-Jahren nicht untätig. Zahlreiche kulturelle Angebote wurden geschaffen, so zum Beispiel ein Lesecafé, eine offene Werkstatt, ein Theater und vieles mehr. Neben Konzerten werden auch Diskussionsabende zu politischen Themen angeboten. Das schönste aber: Jede und jeder ist eingeladen. Auch Sie könnten sich da ohne Weiteres sehen lassen. Noch wichtiger: Die Angebote dort erreichen eine ganze Menge Leute, die sich vom städtischen Kulturangebot nicht angesprochen fühlen. Die Stadt Halle braucht Orte wie die Hasi, wenn sie der Vielfalt ihrer Bewohner gerecht werden will.

An dieser Stelle stehen Sie doppelt in der Verantwortung. Sie sich nicht nur Oberbürgermeister sondern - qua Amt - auch Aufsichtsratsvorsitzender der HWG. Als Oberbürgermeister liegt es eigentlich in Ihrem Interesse, dass das Angebot der Hasi nicht verschwindet, da es, wie eben dargelegt, für Teile der Bevölkerung einen wichtigen Bezugspunkt bildet. Als HWG-Vorstandsvorsitzender hätten Sie die Möglichkeit, auf ein Weiterbestehen des Projekts hinzuwirken. Werden Sie damit aber auch den Interessen der HWG gerecht?
Nun, zunächst einmal handelt es sich bei der Hasi nicht um ein schickes Mehrfamilienhaus, das sich ohne Weiteres für gutes Geld vermieten ließe. Der Capuze e.V. zahlt zwar keine Miete, aber immerhin die Nebenkosten, und trägt außerdem zur Instandhaltung des Gebäudes bei, das sonst sicherlich bald verfallen würde. Die HWG hat also zumindest keinen Nachteil von dem bestehenden Arrangement. Weiterhin ließe sich anführen, dass die HWG in der Selbstdarstellung auf ihrer Website explizit darauf hinweist, soziale und kulturelle Akteure zu fordern und die Hallenser Gesellschaft und Kulturszene auf diese Weise zu bereichern. Diesem Anspruch wird nur gerecht, wer Kultur als ein breites Spektrum begreift und gerade auch Angebote fördert, die das Potential haben, Menschen anzusprechen, die anzusprechen anderen Angeboten nicht gelingt.

Herr Wiegand, setzen Sie sich für eine Verständigung zwischen Anwohnern, Hasi und HWG ein, damit ein Weg gefunden werden kann, dieses Projekt weiterzuführen, ohne dass es bei diesem Prozess Verlierer geben muss. Sorgen Sie dafür, dass der Capuze e.V. seine Arbeit in der Hasi fortsetzen kann.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

taz.de: Häuserkampf in Halle
mz-web.de: Hasi bündelt die Kräfte

Bildquelle:

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c4/Dr._Bernd_Wiegand%2C_Oberb%C3%BCrgermeister%2C_Wikipedia.jpg

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