Freitag, 29. September 2017

Sehr geehrter Herr Söder,

eigentlich müssten Sie sich mit Ihrem Parteichef Horst Seehofer wahnsinnig gut verstehen. Zumindest Ihre Äußerungen zur Asyl- und Flüchtlingspolitik sprechen dafür, dass Sie Seehofers harte Forderungen unterstützen müssten, ja, eher noch leicht darüber hinausgehen. Außerdem sieht Seehofer die Ursache für die starken Verluste der CSU in der Bundestagswahl ja nicht etwa darin, dass Ihre Christsozialen mit ihren rechtspopulistischen Äußerungen der AfD nach dem Munde geredet und sie somit gestärkt haben, sondern glaubt, AfD-Wähler wieder zurückholen zu können, indem er sich noch stärker dem Kurs der Gaulands und Höckes anpasst, ihnen nacheifert. Das ist zwar Schwachsinn, denn im Bereich Rechtspopulismus wirkt natürlich die Partei glaubhafter, die schon immer solche Töne angeschlagen hat und nicht die, die einer sich wandelnden Wählermeinung (oder zumindest einem sich wandelnden Wählerverhalten) hinterherläuft. Nichtsdestotrotz kommt Seehofer Ihnen und Ihren in der Vergangenheit geäußerten Positionen damit eigentlich sehr entgegen. Warum also verstehen Sie beide sich so schlecht?

Darf ich eine Vermutung äußern? Also gut:
Weil es eben eigentlich nicht um die Positionen geht.
Dass Sie in der Parteien- und Politikerlandschaft relativ weit rechts stehen, will ich Ihnen gar nicht absprechen. Gleichzeitig habe ich den Eindruck, dass diese Positionierung eher variabel ist und sich daran orientiert, wo Sie aktuell das größte Machtpotential sehen. Sonst gäbe es für Sie aus meiner Sicht kaum einen Grund, sich mit Seehofer zu zoffen. Inhaltlich sind Sie gar nicht so weit auseinander.

Natürlich, schon seit Längerem wird darüber geredet, dass Sie gerne Seehofers Position in der Partei einnehmen würden. Das heißt, Sie wären gerne Parteichef und Spitzenkandidat für die Landtagswahl - was bedeuten würde, dass Sie wahrscheinlich Ministerpräsident werden würden. Es geht also um machtvolle Positionen. Seehofer ist nach den herben Verlusten in der Bundestagswahl geschwächt - der Parteitag im November könnte die Chance zu seiner Abwahl sein, zumal in den Koalitionsverhandlungen im Bund - so bis dahin denn schon welche stattgefunden haben - eine neue Niederlage droht. Seehofers harte Koalitionsvoraussetzung einer Obergrenze für die Zahl der jährlich aufzunehmenden Flüchtlinge ist mit keiner der anderen verhandelnden Parteien durchsetzbar, nicht einmal mit der Merkel-geführten CDU. Die Gelegenheit, Seehofer zu beerben, wäre also einmalig günstig - wäre da nicht die Gefahr, sich schon in wenigen Monaten selbst in ähnlicher Lage wiederzufinden.
Bayern wählt 2018 einen neuen Landtag und die CSU hätte gerne wieder die absolute Mehrheit. Ein Zweitstimmenanteil von 38,8 % wie in der Bundestagswahl würde da wohl eher nicht reichen. Ein frisch gebackener CSU-Chef Söder hätte nach einem solchen ersten Wahlergebnis einen schweren Stand. Wäre es nicht besser, wenn dieses zu erwartende Debakel noch auf die Kappe des (dann bald Ex-)Chefs Seehofer ginge? Der wäre danach kaum noch zu retten und Sie hätten als neuer Parteichef massig Zeit, sich auf die nächste Wahl vorzubereiten.

Etwas Ähnliches werden Sie sich wohl gedacht haben, als Sie sich am Mittwoch "gegen Personaldebatten" aussprachen, obgleich einige Kollegen sich zu Ihren Gunsten und gegen Seehofer geäußert hatten. Sie brauchen Ihren parteiinternen Widersacher noch, um eine Wahl zu verlieren, ohne dass Sie Schaden nehmen.

Genaugenommen könnten Sie sich das aber auch schenken. Wissen Sie, warum? Weil Sie beide falsch liegen, Sie und Seehofer. Wie ich schon ganz am Anfang dieses Briefes andeutete: Die AfD-Wähler kriegen Sie nicht zurück, egal, wie weit Sie nach rechts rücken. Eher verschrecken Sie noch ein paar Wähler aus der politischen Mitte und sorgen so dafür, dass Ihre Partei noch schlechter abschneidet, als letzten Sonntag. Das wird 2018 passieren - und wenn Sie den Kurs nicht ändern passiert es 2023 wieder. Sie verschieben Ihre persönliche Niederlage nur um fünf Jahre, wenn Sie Seehofer die Wahl 2018 ausbaden lassen.

Nur um das klarzustellen: Ich persönlich habe keinen Favoriten. Die Politik eines Markus Söder wird sich nicht wesentlich von der eines Horst Seehofer unterscheiden. Was Bayern bräuchte, wäre eine andere Partei an der Spitze. Und wer weiß? Vielleicht schaffen Sie das ja früher oder später. Wo könnte beispielsweise die SPD besser wiederauferstehen, als in einem Land, in dem die konservative Fraktion die politische Mitte räumt?

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

NordBayern: Gezerre um CSU-Spitze - Das Risiko für Söder ist enorm
Merkur.de: Nach Rücktrittsforderungen - So stellt Seehofer seine Kritiker ruhig

Bildquelle:

https://www.stmflh.bayern.de/aktuelles/pressegalerie/20170306_10_Kultur_niederbayern_stmflh_ts-42.jpg

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