Freitag, 8. Dezember 2017

Sehr geehrte Frau Malmström,

Sie als Handelskommissarin der Europäischen Union mussten sich zum Thema Freihandel schon so einiges anhören. Die Kritik an Freihandelsabkommen wie TTIP, CETA oder JEFTA reißt nicht ab; neben der Abschwächung von Qualitätsstandards in verschiedensten Bereichen wird beispielsweise eine Aushöhlung demokratischer Entscheidungsfindung befürchtet, die mit der Möglichkeit einherginge, als Unternehmen vor privaten Schiedsgerichten gegen einen  Staat zu klagen, wenn dessen Gesetzgebung nicht in meine Pläne passt. Bemerkenswert ist vor diesem Hintergrund, wie Sie es schaffen, den genannten Freihandelsabkommen immer noch bar jeder Kritik zu begegnen.

Dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung der EU nicht mit diesen Abkommen einverstanden ist - schon gar nicht, wenn sie dermaßen intransparent verhandelt werden und konsequent versucht wird, die Mitbestimmung der EU-Bürger so gering wie möglich zu halten - ist längst auf unterschiedlichste Weise zum Ausdruck gekommen. Darüber sollten Sie also im Bilde sein. Warum drängen Sie dann aber immer noch auf ein Abkommen nach dem anderen? Und - das ist die eigentliche Frage - warum entstehen und funktionieren diese Abkommen offenbar nach wie vor nach dem selben Muster, das schon so oft scharf kritisiert wurde?

Aktuelles Beispiel ist das geplante Freihandelsabkommen mit den Staaten des MERCOSUR-Verbunds, also mit Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay. In der Öffentlichkeit ist von den Verhandlungen kaum etwas bekannt, die Verhandlungsdokumente sind geheim. Erst die Veröffentlichung geleakter Dokumente durch Greenpeace gibt uns einen Überblick über den Verhandlungsstand vom Sommer.

In Sachen Transparenz haben Sie also offenbar nichts dazugelernt. Aber was ist mit dem Inhalt?
Auch hier sieht es nicht besser aus. Besonders fällt ein Kuhhandel ins Auge, der einen ganz guten Eindruck davon ermöglicht, wessen Vorteil bei diesem Abkommen im Mittelpunkt steht: Die EU-Kommission möchte gerne den Export europäischer Autos ankurbeln und die MERCOSUR-Staaten zu diesem Zweck dazu überreden, die Zölle auf Autos und Autoteile aus der EU zu senken. Dafür haben Sie sich bereit erklärt, Verbraucherschutzstandards für den Import von Fleisch(-produkten) aus Südamerika zu senken, wo beispielsweise der Einsatz von Antibiotika in der Tierzucht weitaus weniger restriktiv gehandhabt wird.

Man muss sich die Situation der beiden genannten Industriesparten vor Augen führen, um die ganze Absurdität dieses Handels zu begreifen. Die südamerikanische - namentlich die brasilianische - Fleischindustrie hatte erst vor wenigen Monaten mit einem massiven Gammelfleischskandal zu kämpfen, in dem durch Korruption das gesamte Prüfsystem ausgehebelt wurde. Jetzt schlägt die Kommission vor, die Kontrollen beim Import durch ein Schnellverfahren zu ersetzen und beispielsweise die exportierenden Unternehmen gar nicht mehr selbst zu prüfen.
Auf der anderen Seite beschäftigt sich die EU - hier besonders der zentrale Player Deutschland - schon seit geraumer Zeit mit Skandalen rund um illegale Manipulationen der Abgaswerte von Autos, in die fast die komplette Autoindustrie verwickelt ist. Auch das Auto-Kartell, das illegale Absprachen zum Nachteil der Verbraucher getroffen hat, ist noch nicht hinreichend aufgearbeitet.

Nehmen sich hier also zwei Großproduzenten fragwürdiger Güter gegenseitig ab, was sonst keiner mehr haben will? Den wichtigsten Industriezweigen der beiden Vertragspartner würde das Abkommen sicherlich helfen. Diese Hilfe geht aber komplett auf Kosten der Verbraucher. Die Südamerikaner bekommen schlechte Autos, wir kriegen antibiotikatriefendes Gammelfleisch. Wie verbinden Sie das mit Ihrer Verantwortung für das Wohl der Europäer, Frau Malmström?

Zusätzlich zu diesen direkten Nachteilen muss bei den Fleischimporten aus den MERCOSUR-Staaten auch noch eine negative Auswirkung auf die hiesige Landwirtschaft bedacht werden: Wenn billiges, unter den Bedingungen geringer Tierschutz- und Gesundheitsstandards erzeugtes Fleisch aus Südamerika zollfrei nach Europa kommt, werden alle Landwirte, die sich an die hiesigen Standards halten, arge Probleme bekommen, dem Preisdruck standzuhalten. Die Entwicklung hin zu mehr Tierwohl, zu größeren Ställen, mehr Auslauf, abwechslungsreicherem Futter und anderen derartigen Veränderungen wird ausgebremst, wenn die europäischen Bauern sich auf einmal eines Überangebots von Billigfleisch erwehren müssen. Entweder werden sie diesen Kampf verlieren, oder die Standards hierzulande werden gesenkt, um die hiesigen Bauern konkurrenzfähig zu machen.
Das ist nicht nur moralisch fragwürdig, sondern fällt spätestens dann auf den Verbraucher zurück, wenn auch hier wieder laxere Bestimmungen zum Medikamenteneinsatz eingeführt werden.

Was haben Sie gegen die Verbraucher in Europa, Frau Malmström? Ist es wirklich nötig, ihnen all das zuzumuten, um eine Industrie zu unterstützen, die uns alle, Sie und mich eingeschlossen, jahrelang an der Nase herumgeführt hat, der es aber trotzdem immer noch so gut geht, dass sie eine derartige Unterstützung gar nicht nötig hat? Wenn Sie von der Idee des Freihandels so überzeugt sind, dann sorgen Sie doch bitte dafür, dass er nicht auf Kosten von Interessen umgesetzt wird, die uns alle etwas angehen. Und beweisen Sie dieses Umdenken, indem Sie die Öffentlichkeit an den (Zwischen-)Ergebnissen der Verhandlungen teilhaben lassen und somit eine breite Debatte ermöglichen!

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

taz.de: Tausche Stinker gegen Gammelfleisch
Europäische Kommission: Commissioner Malmström on the benefits of open trade with Mercosur
taz.de: Freihandel erschwert Agrarwende

Bildquelle:

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/a7/Cecilia_Malmstr%C3%B6m_2.jpg

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