Freitag, 1. Dezember 2017

Sehr geehrte Deutsche,

wir haben ein Problem. Ein ernstes Problem. Genauer gesagt haben wir das Problem, dass wir ein ernstes Problem haben (bis hierhin ein toller Satz!), dieses aber nicht als solches erkennen. Gewissermaßen ein Metaproblem. Klar soweit?

Konkret geht es mal wieder um den Abgasskandal, der uns hier in Deutschland schon eine ganze Weile lang beschäftigt. Zur Erinnerung: Eine ganze Reihe von Autoherstellern hat nicht nur - was schon bekannt war - die sehr laxen Testvorschriften für die Abgastests so weit ausgenutzt, dass der Ausstoß ihrer Autos im Test weitaus geringer ausfiel, als im Normalbetrieb, sondern zusätzlich Vorrichtungen installiert, die erkennen, ob gerade ein Test durchgeführt oder auf der Straße gefahren wird, und die Abgasreinigung beim Straßenbetrieb einfach abschalten. Das Ergebnis: Obwohl die gesetzlichen Grenzwerte für den Ausstoß von Schadstoffen - hier ging es vor allem um Stickoxide - stufenweise immer weiter abgesenkt wurden, ist der Ausstoß der Neuwagen eher noch gestiegen. Gerade für Großstädte bedeutet das eine erhebliche Belastung - und für ihre Bewohner ein erhöhtes Risiko von Atemwegserkrankungen. Hinzu kamen dann noch Informationen über eine Kartellbildung der wichtigsten deutschen Autobauer, bei der unter anderem vereinbart wurde, die Tanks für den zur Abgasreinigung benötigten Harnstoff viel zu klein zu dimensionieren und über die Einflussnahme von Auto-Lobbyisten auf die Festsetzung der eben erwähnten Grenzwerte. Es gäbe also jede Menge Gründe, die (deutsche) Autoindustrie mit Skepsis zu betrachten. Mindestens ebensoviele Gründe ließen sich für die Behauptung finden, dass endlich wirksame Maßnahmen gegen den viel zu hohen Ausstoß von Stickoxiden und CO2 (es ist zwar in der Öffentlichkeit etwas zu kurz gekommen, aber auch die CO2-Grenzwerte werden von vielen Modellen um ein Vielfaches überschritten) getroffen werden müssen.

Was aber sagen die Deutschen dazu? Fordern sie die Durchsetzung strenger Grenzwerte oder die Einführung realistischer Testverfahren? Setzen sie sich für eine wirkungsvolle Bestrafung der Auto-Konzerne ein?

Fehlanzeige.
Laut einer Studie des Marktforschungsinstituts GfK halten gerade mal 14,1% der Deutschen Fahrverbote für die besonders schmutzigen Dieselfahrzeuge in den am stärksten verschmutzten Städten für sinnvoll, "wenn eine saubere technische Lösung nicht möglich ist". Es ging also nicht einmal darum, tatsächlich pauschal Dieselverbote in den Städten auszusprechen. Vielmehr beinhaltet schon die Formulierung, dass die Dieselverbote nur dann möglich sein sollten, wenn es keine technische Lösung für das Problem gibt. Wenn sich selbst dafür nur 14,1% der Befragten aussprechen, heißt das bei einem "Weiß ich nicht"-Anteil von 6,4%, dass ganze 79,5% der Deutschen selbst dann, wenn die Grenzwerte anders nicht mehr einzuhalten sind, keine Dieselverbote akzeptieren würden. Was ist los mit den umweltbewussten Mülltrennungs-Dosenpfand-Klimaschutz-Deutschen?

Selbst auf die nächstradikale Stufe von Umweltschutzmaßnahmen können sich fast die Hälfte der Deutschen nicht einlassen: 49,9% der Befragten wären selbst dann gegen eine Förderung emissionsfreier oder -armer Fortbewegungsmethoden, wenn Verbote von Dieselfahrzeugen ausdrücklich ausgeschlossen wären. 31,2% halten die ganze Diskussion um den Dieselskandal sogar für völlig überzogen und wollen offenbar gar keine Konsequenzen in Politik und Wirtschaft.

Was sagen uns diese Zahlen? Die Meinungen hierzu dürften weit auseinandergehen - je nachdem, ob die relativ abstrakte Größe des Erkrankungs- und Sterberisikos durch erhöhte Stickoxidbelastung als wichtiger eingeschätzt wird, oder die für den Einzelnen doch sehr konkrete Frage, ob er mit seinem Dieselauto noch nach Stuttgart hineinfahren darf. Das Problem mit den großen Problemen unserer Welt ist aber nun einmal, dass sie oft weitaus abstrakter und schwerer zu erfassen sind, als die Einschränkungen, denen ihre Bekämpfung uns im Alltag unterwirft. Die Belastung durch und Verteilung von Stickoxiden ist nichts, was man ohne Weiteres beobachten könnte. Der Klimawandel lässt sich aus Messergebnissen und Berechnungen folgern, direkt erfahren kann man nur seine Folgen. Diese werden aber hauptsächlich als Einzelphänomene betrachtet und kaum in einen größeren Zusammenhang gestellt. Niemand kann schließlich sagen, ob ausgerechnet dieser Sturm ohne den Klimkawandel nicht entstanden wäre. Genausowenig kann irgendjemand feststellen, ob ausgerechnet meine Bronchitis oder mein Asthma eine Folge der Stickoxidbelastung ist, oder ob ich die Krankheit sowieso bekommen hätte. Hohe Stickoxidbelastungen führen nicht zwingend zu einer Erkrankung. Dagegen führt ein Dieselfahrverbot zwingend dazu, dass ich mein Auto in bestimmten Bereichen nicht mehr nutzen darf.

Was bei dieser eher unbewussten Rechnung außen vor bleibt ist die Frage nach der Schwere des Schadens, den ich riskiere. Der Wertverlust meines Autos durch die eingeschränkte Nutzung ist ärgerlich. Atemwegserkrankungen hingegen können eine erhebliche Einschränkung der Lebensführung bedeuten und unter Umständen sogar zum Tod führen. Dieses höhere Risiko wird nur deshalb eingegangen, weil es unwahrscheinlich erscheint, dass es ausgerechnet mich trifft. Aber sollte das ausschlaggebend sein?
Ich denke nein. Irgendjemanden wird es immer treffen. Viele hat es schon getroffen. Das Ziel, die Zahl derer, die unter den Folgen der Luftverschmutzung zu leiden haben, möglichst gering zu halten, sollte uns allen reichen, um auf ein bisschen Komfort und einen Teil unseres materiellen Reichtums zu verzichten.

Ich würde mir wünschen, dass wesentlich mehr Menschen hier und anderswo zu derartigen grundlegenden Gedanken der Solidarität finden. Nur, indem jeder einzelne für die Lösung der gemeinsamen Probleme aller einzustehen bereit ist, können diese Probleme nachhaltig gelöst werden.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:
Presseportal.de: Nur 14 Prozent der Deutschen sprechen sich für Dieselfahrverbot aus
swr.de: 8 Fakten zu Feinstaub und Stickoxiden

Bildquelle:
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/56/Germany_in_the_European_Union_on_the_globe_%28Europe_centered%29.svg

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