Freitag, 24. November 2017

Sehr geehrter Herr Schulz,

(c) Susie Knoll
manche werden sagen, Sie hätten es sich nach der Bundestagswahl zu einfach gemacht. Ich bin der Meinung, sie mach(t)en es sich schwer. Ich glaube aber auch, sie konnten es sich nicht viel einfacher machen.

Die kategorische Absage an eine erneute Große Koalition schien folgerichtig, nachdem die SPD bei der Wahl das schlechteste Ergebnis ihrer Nachkriegsgeschichte eingefahren hatte. Sofort waren aber auch Stimmen zu hören, die von "staatspolitischer Verantwortung" sprachen und der SPD "Pflichtvergessenheit" vorwarfen.
Etwa ein fünftel der Wähler (bzw. nicht ganz ein Sechstel der Wahlberechtigten) wollte der SPD vor allen anderen Parteien ein Regierungsmandat erteilen. Das sind nicht so viele. Bezieht man diejenigen in die Berechnung mit ein, die zwar die SPD stärken, auf keinen Fall aber eine neue GroKo provozieren wollten, bleibt nicht viel Spielraum für weitere schwarz-rote Erwägungen. Von Großen Koalitionen hat der überwiegende Teil der Deutschen die Nase voll.

Nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen hieß es zunächst aus SPD-Kreisen, die Position der Partei sei unverändert. Sie selbst, Herr Schulz, sprachen sich bis vor Kurzem klar für Neuwahlen aus. Einige Ihrer Mitstreiter brachten allerdings schon vor ein paar Tagen die Option einer tolerierten CDU-Minderheitsregierung ins Spiel. Die SPD könnte also eine Art Abmachung mit der CDU treffen, in der sie zusichert, den Vorhaben der Union im Bundestag zuzustimmen, ohne selbst an der Regierung beteiligt zu sein. Dieses Vorgehen, so die Hoffnung, würde eine stabile Regierung zur Folge haben und der SPD erlauben, in Verhandlungen mit der CDU Punkte aus dem eigenen Wahlprogramm ins Regierungsprogramm der nächsten Jahre zu schmuggeln. Gleichzeitig müsste die Partei, da sie ja offiziell nicht an der Regierung beteiligt wäre, nicht die Verantwortung für Unions-Projekte tragen, die der potentiellen SPD-Wählerschaft nicht gefallen. Win-win also.

Lassen Sie es mich kurz machen: Ich halte diese Prognose für falsch. Der Verzicht auf machtvolle Posten in der Regierung soll zwar zeigen, das die SPD für ihre Inhalte steht und nicht für pures Machtstreben. Was er tatsächlich transportiert ist aber der Eindruck, die Sozialdemokratie habe sich aufgegeben. Man will keine Verantwortung, weil man Angst vor dem weiteren Absturz in vier Jahren hat, man will keine Neuwahlen, weil man in ein paar Monaten ebenfalls eine noch größere Katastrophe befürchtet, als die, die im September eingetreten ist. Und selbst wenn die Minderheitsregierung hält - wer sagt denn, dass die SPD dann zur nächsten Wahl besser dasteht? Die Wähler merken sehr wohl, dass eine Fraktion, die einem Gesetz zustimmt, auch zu einem guten Teil für dieses Gesetz verantwortlich ist. Wenn diese Fraktion darauf verzichtet hat, an der konkreten Ausgestaltung des Gesetzes teilzunehmen, heißt das nur, dass seine positiven Wirkungen ihr nicht oder nur extrem wenig zugerechnet werden. Ein Aufbäumen gegen als negativ empfundene Gesetze wird allerdings immer noch erwartet. Auch eine echte Oppositionsarbeit wäre so nicht möglich - schließlich müssten sich die SPD-Parlamentarier ständig dafür rechtfertigen, dass sie die Regierungslinie stützen. Wie sollen sie sie da wirkungsvoll kritisieren?

Durch die Intervention von Bundespräsident Steinmeier ist aktuell auch eine Große Koalition wieder denkbar. Sie, Herr Schulz, haben angekündigt, im Falle von Verhandlungen letztlich die SPD-Mitglieder über eine Regierungsbeteiligung abstimmen zu lassen. Das ist löblich, befreit Sie jedoch nicht von dem Problem, das Ihre Partei bereits durch die letzten vier Jahre begleitet hat: Wer als Juniorpartner in Merkel-Koalitionen regiert, kann nur verlieren. Gut, auch die Bundeskanzlerin ist durch das Ergebnis der Wahlen vom September angeschlagen. Ein Zeichen, dass ihre Art zu regieren sich ändern könnte, diese Taktik also, mit der sie sich stets die in der Bevölkerung mehrheitsfähigen Stücke aus dem Wahlprogramm anderer Parteien herauspickt und eine weichgespülte Version davon als ihren Erfolg verkauft, ein Zeichen eines solchen Wandels gibt es nicht. Daher ist meine Prognose: Eine weitere Große Koalition zerstört die SPD, wenn nicht nachhaltig, dann zumindest für so lange, bis sie mal wieder die Gelegenheit hatte, auf Bundesebene Oppositionsarbeit zu machen.

Was ist nun der Ausweg? Vielleicht doch Neuwahlen? Ich gebe zu, Ihre Situation ist verfahren. Ideal wäre eine Regierung ohne die SPD, die der deutschen Sozialdemokratie die Möglichkeit verschafft, sich als Oppositionspartei wieder ein paar erkenn- und von anderen Parteien unterscheidbare Ideale zuzulegen. Eine Regierungskoalition ganz ohne die SPD ist aber leider nicht in Sicht. In dieser Lage bleibt nur die Wahl des kleineren Übels. Aus meiner Sicht sind das die Neuwahlen verbunden mit der Hoffnung, dass sich auf diesem Wege doch noch eine tragfähige Regierungskoalition ohne SPD ergibt. Sicher, die Partei könnte dabei noch weiter abrutschen. Was Sie aber vor allem brauchen ist die Zeit, sich als Partei neu zu formieren und ein erkennbares Profil zu entwickeln. Das geht nicht in einer Regierung mit all ihren Kompromissen und erst recht nicht beim Tolerieren einer Minderheitsregierung.

Eine - wenn auch unwahrscheinliche - Chance einer Neuwahl möchte ich noch ansprechen: Was, wenn es gegen alle Erwartungen doch eine rot-rot-grüne Mehrheit gibt? Wenn der Abwärtstrend der Union sich fortsetzt, der Abbruch der Jamaika-Sondierungen durch Christian Lindner FDP-Wähler vertreibt und sich die nunmehr unschlüssigen Wahlberechtigten SPD und Grünen zuwenden? In einer solchen Regierung bestünde nicht die Gefahr, als Juniorpartner untergemerkelt zu werden. Die SPD würde den Kanzler stellen und ihre Erfolge selbst in Anspruch nehmen können. Inwiefern diese Konstellation zu besseren Ergebnissen bei der nächsten Bundestagswahl führt, hinge allerdings weiterhin davon ab, wie gut es Ihnen und Ihrer SPD gelingt, sich bis dahin ein erkennbares und glaubhaftes sozialdemokratisches Profil zuzulegen. Was auch immer die nächsten Wochen und Monate bringen - bei dieser Aufgabe wünsche ich Ihnen viel Erfolg.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

Welt.de: Jusos applaudieren frenetisch für Nein zur Großen Koalition
Spiegel online: Schulz würde SPD-Mitglieder über GroKo abstimmen lassen

Bildquelle:

https://martinschulz.de/fileadmin/Bilder/Pressebilder/pressefoto_schulz_2835x1890_Susie_Knoll_300dpi.jpg

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