Freitag, 3. November 2017

Sehr geehrter Herr Weil,

jetzt ist es also doch so weit gekommen - Sie und Ihr knapp gescheiterter Herausforderer Bernd Althusmann führen Koalitionsverhandlungen. Liest man den Anfang Ihres Wahlprogramms, so könnte man meinen, eine Große Koalition wäre in Niedersachsen ein Ding der Unmöglichkeit. Dort ist zu lesen, die SPD habe in der vergangenen Legislaturperiode einen "Schlussstrich unter die dunklen Jahre der CDU-FDP-Regierung gezogen". Auch im Wahlkampf wies so gut wie nichts darauf hin, dass Rot-Schwarz nach der Wahl eine ernsthafte Option sein könnte. In Ihrem TV-Duell mit Althusmann waren Sie beide sehr darauf bedacht, sich Ihrer gegenseitigen Geringschätzung zu versichern.

Ich gebe zu, Sie befinden sich in keiner leichten Situation. Die einzige andere Koalitionsoption - eine Ampelkoalition mit FDP und Grünen - wurde von der FDP ausgeschlossen. Auf der anderen Seite kann auch die CDU nicht mit den beiden kleineren Parteien in einer Jamaika-Koalition regieren. Hier sperren sich die Grünen. Das einzige realistische Bündnis bleibt also die GroKo, die irgendwie schäbig daherkommt, wenn man den ganzen Wahlkampf lang betont hat, wie unfähig der spätere Koalitionspartner ist und wie unmöglich, ihm Regierungsverantwortung zu geben. Konnte ja vorher keiner ahnen, dass man sich mit dem Hauptkonkurrenten nochmal auf ein gemeinsames Regierungsprogramm einigen muss, oder? Oder?

Doch, zumindest damit rechnen hätten Sie müssen, Sie und Herr Althusmann. Rot-Grün und Schwarz-Gelb hatten schon vor der Wahl keine Mehrheit in den Umfragen. FDP und Grüne aber liegen inhaltlich so weit auseinander, dass in der Öffentlichkeit schon lange Zweifel herrschten, ob die beiden Parteien in der Lage wären, sich auf einen Koalitionsvertrag zu einigen. Vor diesem Hintergrund kann es kaum verwundern, dass beide Kleinparteien darauf bestanden, eine Dreierkoalition nur mit der "großen" Partei einzugehen, die ihren jeweiligen Inhalten mehr Gewicht verschaffen würde.

Herr Althusmann und Sie, Herr Weil, hätten also ahnen können, dass Sie nach der Wahl vor der Entscheidung stehen könnten, mit dem Widersacher zu koalieren oder Neuwahlen zu riskieren. Die Frage ist also: Können Sie mit einem Menschen (und der von ihm geführten Partei) regieren, dem Sie noch im TV-Duell am 10. Oktober bescheinigten, "nicht zu überblicken", worüber er redet und der Ihnen bei gleicher Gelegenheit vorwarf, "der Realität entrückt" zu sein? Wie können Sie beide einander Regierungsverantwortung zubilligen, wenn Sie sich gegenseitig für so unfähig halten?

Oder war das alles am Ende - welch infame Unterstellung - nur Show, und Sie und Herr Althusmann kommen eigentlich ganz gut miteinander klar? Mit anderen Worten: Wie ehrlich sind Sie als Politiker denen gegenüber, die Sie wählen sollen? Wie echt ist die Empörung, mit der Sie die Politik der CDU verdammten - die Politik also, die Sie in einer Koalition zumindest teilweise werden mittragen müssen? Eine unkomplizierte Einigung mit der CDU wäre entlarvend. Sie hieße entweder, dass Sie Ihre Ziele zu großen Teilen über Bord geworfen haben, um eine Regierung mit einem aus Ihrer Sicht schlechten Partner auf die Beine zu stellen - oder aber, dass das Über-Bord-Werfen schon im Wahlkampf stattgefunden hat, als Sie und Herr Althusmann sich auf einen oberflächlich konfrontativen Wahlkampfstil einließen, der verdecken sollte, wie gut Ihre inhaltlichen Positionen eigentlich zusammenpassen. Was wäre schlimmer?

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

NDR.de: Große Koalition - SPD und CDU stimmen dafür
NDR.de: Harter Schlagabtausch zwischen Weil und Althusmann
stuttgarter-nachrichten.de: Kein klarer Sieger bei TV-Duell zur Niedersachsen-Wahl

Bildquelle:

https://www.stephanweil.de/fotoalbum/weilhameln0128/

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