Freitag, 12. Januar 2018

Sehr geehrte Frau Merkel,

"Klimakanzlerin" ist einer der Beinamen, die Ihnen in Ihren bisher etwas mehr als 12 Jahren als Regierungschefin angedichtet wurden. Diese Namensgebung kann man natürlich kritisieren, aber Fakt ist, dass Sie in den letzten Jahren sehr darauf bedacht waren, diesem Titel zumindest rethorisch gerecht zu werden. Was haben Sie nicht alles erzählt von der Vorreitetrrolle Deutschlands im Klimaschutz, von Einsparungen bei den Treibhausgasemissionen von 40% bis 2020, von einer Million Elektroautos, die im selben Jahr bereits Deutschlands Straßen befahren sollten. Gleichzeitig hat Ihre Regierung sich zwar gegen den Kohleausstieg gesträubt, Dieselsubventionen geschützt und die Autokonzerne selbst dann noch unter ihre Fittiche genommen, als mit dem Dieselskandal und den Kartellvorwürfen einer der größten Betrugsskandale der deutschen Geschichte aufgedeckt wurde, aber es schien Ihnen zumindest wichtig zu sein, alle glauben zu lassen, dass Sie sich für Klimawandel und Umweltschutz interessierten.

Und jetzt? Heute morgen verkündeten die Sondierungsgruppen von Union und SPD einen Durchbruch, ein 28-seitiges Sondierungsergebnis wurde präsentiert. Seitdem quilt das Internet über von Zusammenfassungen des Papiers und ersten Interpretationsversuchen. Ich habe die letzte Stunde damit verbracht, die Online-Artikel verschiedener Medien zu durchforsten - was sich nicht findet, sind Einigungen zum Thema Klimaschutz. Zum Umweltschutz fällt mir zumindest noch die Sache mit dem Glyphosat ein, was zwar gut, aber als einzige umweltpolitische Einigung doch ziemlich mager ist. Von der "Klimakanzlerin" hätte ich aber schon ein paar Worte dazu erwartet, wie sie den deutschen Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaschutzabkommen gerecht zu werden gedenkt. Das einzige, was ich dazu gefunden habe, ist die Einigung von vor ein paar Tagen, das Ziel, bis 2020 im Vergleichzu 1990 40% weniger Treibhausgase auszustoßen, zu begraben. Nicht gerade das Projekt einer "Klimakanzlerin", zumal schon seit Jahren gewarnt wurde, es bedürfe größerer Anstrengungen, um das Ziel zu erreichen, während Sie immer - zum Beispiel auch noch direkt vor der Wahl - felsenfest davon überzeugt zu sein schienen, das Ziel erreichen zu können.

Die "Klimakanzlerin" macht also keine Klimapolitik und was vom Begriff "Flüchtlingskanzlerin" übrig ist will ich angesichts dieser perfiden Mathe-Spielchen um Obergrenze und eingeschränkten Familiennachzug gar nicht erst erwähnen... Bezeichnend finde ich, dass Sie sich offenbar in beiden Bereichen gar keine Mühe mehr geben, irgendjemandem irgendetwas vorzumachen. Die kurze Anwandlung humaner Flüchtlingspolitik von 2015 haben Ihnen ja Ihre Parteifreunde schon vor längerer Zeit gründlich ausgetrieben. Dass Sie jetzt aber nicht mal mehr ansatzweise versuchen, sich als progressive Umwelt- und Klimapolitikerin darzustellen, wundert mich dann doch. Es gab doch Leute, die Ihnen das abgekauft haben. Haben Sie die schon aufgegeben? Oder ist Ihnen Ihr Image jetzt egal, weil Sie sowieso nicht noch einmal kandidieren?
In jedem Fall ist das Fehlen jeder Klimapolitik in den bekannten Teilen der Sondierungsergebnisse entlarvend. Was wir brauchen, ist eine echte Klimakanzlerin!

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

sueddeutsche.de: Anders weiter
tagesschau.de: Das steht im Abschlusspapier

Bildquelle:

https://www.cdu.de/sites/default/files/media/images/angela_merkel/161206-angela-merkel-pressefoto.jpg

2 Kommentare:

  1. Hey Hans,

    ich glaube zwar nicht, dass das an Frau Merkel liegt, aber letztlich steht im Sondierungspapier mehr zum Klimaschutz, als ich erwartet hätte.
    https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Beschluesse/Ergebnis_Sondierung_CDU_CSU_SPD_120118.pdf (Seite 24)
    Auch zu dem Klimaziel 2020 wird sich, anders als vor ein paar Tagen durch die Presse ging, bekannt.

    Hätte also schlimmer kommen können, denke ich.

    Liebe Grüße,

    Johannes

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    1. Hallo Johannes,

      du hast Recht, im Papier stand letztlich mehr, als anfangs abzusehen war. Den Brief habe ich Freitag Vormittag geschrieben, als im Netz eigentlich nur verschiedene Zusammenfassungen zu finden waren, in denen Umwelt- und Klimaschutz überhaupt keine Erwähnung fanden. In der Präambel findet sich das Thema auch immer noch nicht, obwohl dort ja die großen Themen der geplanten Koalition aufgezählt werden. Weiterhin sehe ich das mit dem Klimaziel 2020 anders - hier wollen die Herrschaften verbindlich klingen, sich aber trotzdem Lücken lassen. Zum Klimaziel 2030 wird sich zwar ohne wenn und aber bekannt, beim Ziel 2020 wird das Bekenntnis jedoch durch Formulierungen wie "...die Lücke zur Erreichung des 40 %-Reduktionsziels bis 2020 so weit wie möglich zu reduzieren..." verwässert, denn wie viel "so weit wie möglich" ist, entscheiden die Koalitionäre letztlich so, wie es ihnen in den Kram passt.

      Das Ergebnis ist also besser als befürchtet. In der Grundtendenz würde ich die im Brief lautgewordene Kritik allerdings immer noch für berechtigt halten.

      LG

      Hans

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