Freitag, 19. Januar 2018

Sehr geehrter Herr Schulz,

(c) Susie Knoll
kurz nach dem Ende der Sondierungen für eine Jamaika-Koalition im Bund habe ich Ihnen zuletzt geschrieben. Jetzt habe ich mir meinen Brief von damals noch einmal angesehen, mir die Situation wieder vor Augen geführt - und festgestellt, dass Sie und Ihre SPD noch tiefer im Schlamassel stecken, als das Ende November der Fall war.

Alles in allem hätte Ihnen doch Jamaika noch am besten gepasst. Vier Jahre lang aus der Opposition pöbeln dürfen, Kritik loswerden, ohne jedes Mal überlegen zu müssen, wie man die ganze Sache formuliert, ohne sich als Regierungspartei selbst ein Bein zu stellen, das hätte der SPD mal wieder gut getan. Das Gefühl, bei einem Regierungsantrag mit "nein" zu stimmen und sich hinterher aus voller Brust darüber zu echauffieren - welcher SPDler kann sich daran noch erinnern? Maximalforderungen geben einem am meisten Profil, aber man kann sie kaum von der Regierungsbank aus stellen.

Jamaika ist gescheitert, die hehre Ansage, auf keinen Fall erneut in eine Große Koalition zu gehen, sind Geschichte. Sie haben sondiert und ein Ergebnis vorgelegt. Dass eine weitere GroKo die SPD komplett pulverisieren könnte singen die Spatzen von den Dächern. Aber ach, was wäre die Alternative? Eine Absage an die GroKo hieße mit überwältigender Wahrscheinlichkeit: Neuwahlen. In Umfragen liegt die SPD inzwischen sogar unter 20 Prozent. Der Absturz kann also sofort kommen, oder er kommt in vier Jahren, nach der nächsten Bundestagswahl.

Sie scheinen sich inzwischen für die Verzögerungsoption entschieden zu haben. Nur leider haben Sie hier nicht zu entscheiden. Etliche Sozialdemokraten aus allen Ecken der Bundesrepublik haben sich inzwischen gegen die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen auf Grundlage des von Ihnen präsentierten Sondierungsergebnisses ausgesprochen. Die Entscheidung auf dem Parteitag am Sonntag in Bonn könnte knapp werden.
Einige Genossen kommen jetzt mit tollen Vorschlägen um die Ecke, was in Koalitionsverhandlungen noch zu ändern wäre. So gibt es den Vorschlag aus NRW, die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen zur festen Koalitionsbedingung zu machen. Netter Gedanke, aber für Sie, Herr Schulz, sicherlich keine große Hilfe. Sicher, die Sondierungsergebnisse sind noch kein Koalitionsvertrag. Viel muss noch präzisiert werden und dabei können einige Punkte bestimmt auch noch anders umgesetzt werden, als die aktuelle Vereinbarung es nahelegt. Dass die Union sich jedoch darauf einlässt, einen so großen Punkt wie das Ende der sachgrundlosen Befristungen ohne Gegenleistung, also quasi nur aus Sympathie für die SPD, in den Koalitionsvertrag aufzunehmen, halte ich doch für sehr unwahrscheinlich. Eine Gegenleistung Ihrerseits würde jedoch bedeuten, dass Sie einen Ihrer raren Verhandlungserfolge wieder aufgeben. Das können Sie sich nicht leisten.

Das Vorum des Parteitags und gegebenenfalls die Urabstimmung über den fertigen Koalitionsvertrag bestimmen jedoch nicht nur die Zukunft der SPD. Sie bestimmen auch Ihre persönliche Zukunft. Mit Ihrer Erfolgsbilanz (krachend verlorene Bundestagswahl, seither immer weiter sinkende Umfragewerte, schwaches Sondierungsergebnis und das Image eines politisch Halbtoten) könnten Sie sich bei einem Scheitern der Regierungsbildung wohl kaum auf dem Posten des Parteichefs halten.

Herr Schulz, Ihr Misserfolg steht im Grunde fest, seit Jamaika gescheitert ist. Nein, Ihr Misserfolg war schon mit dem Ergebnis der Bundestagswahl klar. Aber Ihre komplette Niederlage ist unausweichlich, seit die SPD der einzige verbleibende Partner für eine Unionsregierung zu sein scheint. Die SPD kann es sich nicht leisten, zu regieren. Sie kann sich auch keine Neuwahlen leisten. Und Martin Schulz kann es schon gar nicht. Bei diesem Dilemma bleibt es. Einen Gedanken möchte ich Ihnen jedoch noch mitgeben: Wenn Sie jetzt eine Regierung mit den Unionsparteien bilden, zögern Sie die nächste Stufe des Bedeutungsverlusts der SPD (voraussichtlich) vier Jahre hinaus. Sie haben dadurch jedoch nichts gewonnen, denn auch eine mögliche Neuaufstellung und Erholung Ihrer Partei kann damit frühestens in vier Jahren beginnen. Dass Sie Ihren Posten räumen ist dafür ohnehin unerlässlich, ebenso wie auch der Rest des Parteivorstands eine umfängliche Erneuerung bräuchte. Ohne neue Menschen in ihrer Führung wird sich die SPD nicht verändern. Verändert sich die SPD nicht, dann geht sie unter.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

taz.de: Ultimatum für Martin Schulz
zdf.de: Neue GroKo - Schulz appelliert an SPD-Basis

Bildquelle:

https://martinschulz.de/fileadmin/Bilder/Pressebilder/pressefoto_schulz_2835x1890_Susie_Knoll_300dpi.jpg

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