Donnerstag, 5. April 2018

Sehr geehrter Herr Seehofer,

ich habe nichts Gutes von Ihnen erwartet. Insofern überrascht es mich nicht besonders, wenn Sie jetzt als Innen- und Heimatminister im Bund nicht besser sind, als Sie als Bayrischer Ministerpräsident waren. Dazu gehört nun mal auch, dass Sie Ihre "Wir zuerst"-Rhetorik beibehalten und mit den Mitteln Ihres neuen Amtes Ihr altes Weltbild durchzusetzen versuchen, in dem Grundrechte schon einmal eingeschränkt werden dürfen, wenn es Ihnen hilft, sich an AfD-Wähler*innen ranzuwanzen.

Ganz perfide wird es aber, wenn Sie jetzt die ohnehin hilfsbedürftige Gruppe der Geflüchteten auch noch in zwei Gruppen unterteilen, deren eine Rechte genießen soll, die der anderen versagt bleiben, indem Sie denen, die von allen am wenigsten haben, auch noch das Recht vorenthalten, ihre Familie nachzuholen.
Ihr Vorschlag, den Familiennachzug für alle Personen, die hier noch nicht für ihren eigenen Lebensunterhalt sorgen können und daher von Sozialleistungen leben, ausgesetzt zu lassen, ist an Zynismus kaum zu überbieten. Er passt ins Bild eines unreflektierten "selber schuld", das alles legitimiert, was Sie Geflüchteten zumuten, indem sie pauschal als integrationsunwillig hingestellt werden.
Dabei gibt es gute Gründe dafür, dass Geflüchtete in Deutschland nicht sofort einen Job finden. Sie haben vielleicht Abschlüsse, die hier nicht anerkannt werden, oder haben ihren Beruf vorher ganz ohne offiziellen Abschluss ausgeübt, was sie hier nicht mehr dürfen. Sie beherrschen die deutsche Sprache bei ihrer Ankunft zum großen Teil noch nicht so gut, dass es für jeden beliebigen Beruf reichen würde - weil sie erst hier überhaupt die Gelegenheit bekommen, deutsch zu lernen. Viele sind traumatisiert oder mit ihren Gedanken noch mehr in ihrer Herkunftsregion als hier - wie soll sich jemand ganz auf die Integration in Gesellschaft und Arbeitsmarkt eines fremden Landes konzentrieren, wenn er oder sie sich ständig um Angehörige sorgt, deren Leben bedroht ist?

Was Ihre Maßnahme also bewirkt ist das Gegenteil von dem, was sie scheinbar bewirken soll. Der erhöhte Druck auf die ohnehin völlig überlasteten Menschen bringt sie nicht dazu, sich schneller zu integrieren, sondern nimmt ihnen die Möglichkeit dazu.
Ein weiterer Aspekt dieser Angelegenheit ist, dass hier eine doppelte Diskriminierung stattfindet. Nicht nur aufgrund ihrer Herkunft werden Menschen benachteiligt, sondern zusätzlich auch noch aufgrund ihrer finanziellen Lage. Pauschal zu unterstellen, Arbeitslosigkeit unter Geflüchteten rühre daher, dass sie keine Arbeit wollten - und was sollte dieser Vorschlag sonst bedeuten - ist ein klar rassistischer Zug. Menschen Grundrechte Vorzuenthalten, weil sie nicht genug Geld haben, ist so typisch CSU, das einem das Kotzen kommt. Wie eine Partei die Worte "christlich" und "sozial" in ihrem Namen haben und gleichzeitig so verächtlich auf benachteiligte Menschen herabsehen kann ist mir auch heute noch ein Rätsel.

Hinzu kommt, dass die CSU ja nicht müde wird, zu betonen, wie wichtig ihr die Familie sei. Gerade, wenn es um neue (und auch um gar nicht mehr ganz so neue) Formen des familiären Zusammenlebens geht. Um gegen gleichgeschlechtliche Partnerschaft zu hetzen ist die Familie scheinbar gut genug.
Was man hieran schon deutlich sehen kann, ist, dass es Ihnen nicht um die Familie an sich, sondern um ein ganz bestimmtes Bild von Familie geht, das Ihrer Meinung nach bitte alle zu leben haben, weil Sie es so gewohnt sind. Eins erwähnen Sie jedoch nie: Ihre Sorge um die Familie erstreckt sich nur auf deutsche Familien. So wichtig die Familie Ihrer Meinung nach auch ist, Wer keinen deutschen Pass hat, hat sie offenbar nicht nötig. Wie sonst ist es zu erklären, dass Sie einen Wert erst als fundamental wichtig für Ihre Partei einstufen, nur um dann festzulegen, dass dieser Wert für den Umgang ebendieser Partei mit einer bestimmten Gruppe von Menschen keine Rolle spielt?

Wie gesagt, Herr Seehofer, ich habe nichts besseres von Ihnen erwartet. Sie haben allerdings eine letzte Chance, mich doch noch zu überraschen. Wie? Es ist ganz einfach. Machen Sie eine Wende um 180 Grad und setzen Sie sich in Ihrer Partei sowie bei Ihren Koalitionspartnern dafür ein, den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte wieder komplett in Kraft zu setzen - ohne Obergrenzen und "atmende Deckel". Das würde mich echt vom Hocker hauen. Wäre es das nicht wert?

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund

zeit.de: Panikmache statt Menschenrechte
taz.de: Kein Familiennachzug bei Hartz4

Bildquelle

http://www.seehofer-direkt.de/generated/pics/PV_PT_16_68c8796478.jpg

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