Donnerstag, 26. April 2018

Sehr geehrte Frau Kugler,

ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, Ihnen zu erklären, was Sie in meinen Augen alles falsch machen. Ganz kurz kann man meinen Appell aber vielleicht so zusammenfassen:
Halten Sie sich aus dem Leben anderer Menschen heraus!
Aber von vorne. Vor einigen Tagen wurde durch einen Bericht des Europäischen Parlamentarischen Forums für Bevölkerung und Entwicklung (EPF) bekannt, dass Sie und andere schon seit Jahren ein geheimes Netzwerk namens "Agenda Europe" aufbauen, in dem ultrakonservative Personen und Gruppierungen zusammen daran arbeiten, einen Fortschritt im Bereich sexueller und reproduktiver Selbstbestimmung zu unterbinden und bisher erkämpfte Errungenschaften rückgängig zu machen. Das heißt im Klartext: Sie wollen nicht nur Ehe und Familie zu Privilegien heterosexueller Paare machen, sondern Homosexualität gleich ganz verbieten und unter Strafe stellen, Abtreibungen ohne Ausnahme für illegal erklären lassen und sogar gegen jede Art von Empfängnisverhütung vorgehen. Das nennen Sie dann "Naturrecht" und glauben offenbar, damit sei alles gerechtfertigt, was Ihnen zu dem Thema so einfällt.

Damit sind wir schon beim ersten von vielen Fehlern in Ihrem Konzept. Sich hinter einem schwammigen Begriff wie "Naturrecht" zu verstecken ist bequem, denn er enthebt einen jeder kritischen Auseinandersetzung mit den eigenen Standpunkten. "Naturrecht" klingt nach Ursprünglichkeit, Naturverbundenheit, nach dem "Eins-sein" mit der Welt. Was dabei geflissentlich vergessen wird ist eine Definition davon, was denn nun eigentlich "natürlich" ist (wussten Sie beispielsweise, dass Homosexualität auch bei den verschiedensten Tierarten vorkommt? Und zwar in freier Wildbahn, ganz ohne menschliche Einwirkung! Wenn das nicht natürlich ist...) und inwiefern es "natürliche Rechte" gibt, bzw. wie diese sich aus der Natur herleiten. Außerdem wird einfach davon ausgegangen, dass alles, was "natürlich" ist, auch gut sein muss, alles, was nicht natürlich ist hingegen schlecht (kommt die Ehe beispielsweise natürlich vor? Oder das Abendmahl? Ist das Papsttum natürlich? Der christliche Glaube an sich? Sie als Theologin sollten darauf doch eine überzeugende Antwort haben...).
Letztlich hat ein so undefinierter Begriff wie "Naturrecht" den großen Vorteil, dass Sie selbst bestimmen können, was er ausdrückt. Dabei drehen Sie sich bei der Legitimation Ihrer Forderungen im Kreis, denn wenn Ihre Ziele wünschenswert sind, weil sie dem "Naturrecht" entsprechen, das "Naturrecht" aber definiert ist als alles, was Sie eben so wollen, stellt sich auch für die Inhalte des "Naturrechts" die Legitimationsfrage und wir sind wieder am Anfang... Im Grunde gehen Sie also falsch herum vor: Normalerweise würde man "gute" Ziele von einer Grundlage ableiten, die einem eine Orientierung darüber gibt, was gute Ziele ausmacht. Sie hingegen kommen mit fertigen Zielen und bauen sich daraus eine Grundlage, die dazu passt.

So viel zu den logischen Schwächen Ihrer Argumentation. Das eigentlich skandalöse ist aber, wie Sie versuchen, allen anderen Menschen Ihre Meinung und Ihre Lebensweise aufzuzwingen, obwohl Sie persönlich von deren Lebensführung überhaupt nicht betroffen sind. Was kümmert es Sie, ob ich oder sonst irgendwer mit Männern oder Frauen schläft? Was kümmert es Sie, wenn Menschen Sex haben, weil es ihnen Spaß macht, statt nur zu Zeugungszwecken miteinander ins Bett zu steigen? Liebe ist etwas Gutes und Lust ist etwas Gutes. Wo immer Menschen beides oder eins von beidem genießen, ohne anderen damit zu schaden, ist das zu begrüßen und wo es ihnen nicht möglich ist, weil ihre Form der Liebe nicht akzeptiert wird, ist es zu ermöglichen. Wenn Sie für sich entschieden haben, nicht zu verhüten, wenn Sie heterosexuell sind und monogam leben wollen, wenn für Sie Geschlechtsverkehr nur in der Ehe infrage kommt, dann ist das Ihre Angelegenheit und niemand darf Sie dazu zwingen, es anders zu halten. Was Sie aber unter keinen Umständen tun dürfen ist, von anderen zu verlangen, dass sie ebenso leben wie Sie. Diese übergriffige Haltung, sich das Recht herauszunehmen, in die Privat- und Intimsphäre anderer Leute einzugreifen, ist nicht nur eine bodenlose Frechheit, sondern droht auch vieles von dem zu zerstören, was wir und frühere Generationen uns an Freiheit erkämpft haben. Es beschneidet Sie in keinem Ihrer Rechte, wenn jemandem anders erlaubt wird, anders zu leben, als Sie es tun. Es beschneidet aber diesen anderen Menschen in seinen Rechten, wenn es ihm verboten wird.

Darum noch einmal mein Appell: Versuchen Sie nicht länger, anderen Menschen Ihre Lebensweise aufzuzwingen. Leben Sie für sich so, wie Sie es für richtig halten und lassen Sie andere Leute auf deren Weise leben. Und erzählen Sie am besten allen Íhren Freund*innen und Kolleg*innen bei "Agenda Europe" von dieser neuen Methode. Die Welt könnte ein so viel schönerer Ort sein!

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

queer.de: Enthüllt - Wie "Demo für alle" & Co. Homosexualität wieder kriminalisieren wollen
taz.de: Geheim und radikal

Bildquelle:

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