Freitag, 6. Januar 2017

Sehr geehrter Herr de Maizière,


Bild: www.thomasdemaiziere.de

Sicherheit ist eine tolle Sache. Doch, wirklich. Niemand möchte Szenen wie kürzlich auf diesem
Berliner Weihnachtsmarkt, das ist ja wohl klar. Wir wollen eine freie, lebensfrohe, offene Gesellschaft sein, die sich vor nichts zu fürchten braucht. Um letzteres zu erreichen brauchen wir, da haben Sie vollkommen Recht, handlungsfähige Sicherheitsbehörden. Welche Behörde da wie wichtig ist und welche Mittel anwenden darf, darüber wird an anderer Stelle genug gestritten und natürlich gibt es dazu mehr als eine Meinung und gute Argumente für jeden möglichen Standpunkt. Nun haben Sie aber etwas vorgeschlagen, das über die normalen Diskussionen über Kameras am Bahnhof und möglicherweise ungerechtfertigte Platzverweise hinausgeht. Im Grunde schlagen Sie eine Zentralisierung von Polizei und Verfassungsschutz vor. Die Landesämter für Verfassungsschutz sollen abgeschafft und durch das entsprechende Bundesamt ersetzt werden. Der Bundespolizei wollen Sie mehr Kompetenzen einräumen, so auch die Möglichkeit, im gesamten Gebiet der Bundesrepublik ihre Schleierfahndung (verdachtsunabhängige Fahndung) nach Personen, die die Grenze illegal passiert haben, durchzuführen. Bisher ist diese Maßnahme nur bis 30 km hinter der Grenze möglich.
Nun möchte ich Sie fragen: Was erwarten Sie sich davon? Was sind die konkreten Verbesserungen, die sich aus diesen Maßnahmen ergeben würden? Zunächst wäre die Bundespolizei total überfordert. Für einen Einsatz im gesamten Bundesgebiet braucht man eben doch mehr Ausrüstung, Fahrzeuge und nicht zuletzt Personal, als wenn man lediglich die Grenzen kontrolliert. Nun gut, das ließe sich mit etwas Zeit und einem gigantischen Haufen Steuergeld noch irgendwie deichseln. Was aber wäre der Effekt? Wahrscheinlich würden mehr Leute geschnappt, die die Grenze illegal überquert haben. Inwiefern hilft uns das aber weiter? Anis Amri beispielsweise war in Deutschland geduldet. Das heißt, dass sein Asylantrag abgelehnt worden war, und man ihn eigentlich gerne abgeschoben hätte, diese Abschiebung aber im Moment nicht durchführbar war, in seinem Fall, weil er keine gültigen Ausweispapiere besaß und die Ersatzpapiere aus Tunesien ewig nicht eintrafen. Die Duldung ist eine Absichtserklärung, den Geduldeten so bald wie möglich abzuschieben, sie ist aber auch ein Status, der den Aufenthalt in Deutschland erlaubt. Anis Amri war zur Zeit des Anschlags also legal in Deutschland. Die Bundespolizei hätte ihn alle fünf Minuten kontrollieren können, im Rahmen ihrer Grenzschutzaufgaben hätten sie ihm nicht das geringste anhaben können.
Was an Anis Amri illegal war war sein Vorhaben, Menschen zu töten. Dieses Vorhaben zu erahnen und seine Vereitlung in Gang zu setzen wäre die Aufgabe des Verfassungsschutzes gewesen. Dieser hatte den jungen Mann auf dem Schirm, hat ihn sechs Monate lang beobachtet, die Beobachtung jedoch wieder abgebrochen, als sich keine Anzeichen eines bevorstehenden Anschlags mehr zeigten.
Dann kam der Anschlag.
Immer wieder wird gemutmaßt, die Landesämter für Verfassungsschutz hätten im Fall Amri Mist gebaut. Gerade die berliner Behörde, die den späteren Terroristen ein halbes Jahr lang überwacht hat, hätte ihn in dieser Zeit zu oft aus den Augen verloren und daher die Fortführung seiner Terrorpläne verschlafen.
Möglich. Aber was würde das Bundesamt für Verfassungsschutz daran ändern? Gibt es irgendwelche Hinweise, dass Bundesverfassungsschützer bessere Überwachungsarbeit leisten als die der Länder? So eine Zusammenlegung erscheint erst einmal nützlich, weil man instinktiv annimmt, kürzere Wege zwischen den Büros führten auch zu mehr Effizienz, aber je größer die Behörde, desto größer auch der bürokratische Aufwand. Es ist keinesfalls gesagt, dass der Bundesverfassungsschutz, zusätzlich mit den Aufgaben der Landesbehörden betraut, irgendetwas anderes wäre als heillos überfordert.

Es gibt jedoch noch einen anderen Grund, warum ich Sie bitten möchte, mit der Zentralisierung von Sicherheitsbehörden vorsichtig zu sein. Es ist vielleicht sogar der wichtigste. Haben Sie sich schon einmal überlegt, warum wir in Deutschland ein föderales System haben? Natürlich haben Sie das, Sie haben schließlich sowohl in der Landes- als auch in der Bundespolitik gearbeitet und werden wohl nicht umhingekommen sein, das Verhältnis dieser beiden Ebenen zueinander zu hinterfragen. Kurz gesagt: es geht mal wieder um die Nazis.
Zentral organisierte Behörden sind am leichtesten gleichzuschalten. Um so schlimmer, wenn es Sicherheitsbehörden sind. Je mehr die Macht im Staat auf wenige Punkte konzentriert ist, desto leichter ist es für den nächsten Möchtegerndiktator, diese Stellen mit loyalen Untergebenen zu besetzen und die Demokratie zum Einsturz zu bringen. Besonders schlimm ist das bei der Polizei und den Geheimdiensten. Nichts braucht ein Diktator zur Festigung seiner Macht dringender als Polizei und Geheimdienste.
All das mag weit hergeholt erscheinen. Schließlich betrachten die meisten Menschen in Deutschland die Bundesrepublik als eine verhältnismäßig gut funktionierende Demokratie und eine Polizeizentralisierung macht noch keinen Diktator, aber demokratische Strukturen erodieren leicht. Im ersten Moment fällt es einem noch gar nicht auf, im nächsten ist es vielleicht schon fast zu spät. Wir sollten uns hüten, die Schutzmechanismen gegen totalitäre Herrschaftsformen abzubauen, die unserem Staat mit auf den Weg gegeben wurden. Der Föderalismus ist einer davon. Versuchen auch Sie, ihn zu erhalten. Ich bitte Sie inständig darum.

Mit freundlichen Grüßen

HG

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