Freitag, 12. Mai 2017

Sehr geehrter Herr Linnemann,

Grundsätzlich scheinen Sie sich mit Ihrem Parteikollegen Wolfgang Schäuble ja einig zu sein, was das Thema Steuersenkungen angeht. Der erwartete Überschuss an Steuereinnahmen, so fordern Sie es, soll in den Abbau der Steuerbelastung "für untere und mittlere Einkommen" fließen. Nur über die Summe, die für diesen Zweck verwendet werden soll, sind Sie sich noch uneinig. Während Schäuble von 15 Milliarden Euro spricht, fordern Sie Maßnahmen, die (je nach Schätzung) das Doppelte bis Dreifache kosten könnten. Steuersenkungen klingen ja grundsätzlich gar nicht so schlecht und dass Sie untere und mittlere Einkommen erwähnen klingt schon fast nach Schulz'schem Gerechtigkeitswahlkampf und gar nicht nach Gutverdiener-CDU.

Dann fällt mir jedoch auf, dass Ihnen zum Thema "untere Einkommen entlasten" scheinbar als erstes der Spitzensteuersatz einfällt - wer beispielsweise den Mindestlohn bekommt hat mit dieser Marke nicht viel zu tun und dürfte sich nun fragen, inwiefern diese Reform eine Entlastung für sein zweifellos "unteres" Einkommen darstellt? Sie argumentieren hier, man müsse diejenigen Menschen beachten, die mit ihren Steuerzahlungen den Sozialstaat finanzieren (und nicht die, die von ihm leben) und drücken so implizit aus, Menschen mit geringerem Einkommen sollten doch einfach mehr beitragen, dann könnten sie auch dafür belohnt werden.

Das Problem ist, Herr Linnemann, dass Menschen mit sehr geringem Einkommen deshalb nicht weniger oder weniger hart arbeiten als Menschen mit höherem Einkommen. Sie machen auch nicht zwangsläufig eine für die Gesellschaft weniger wichtige Arbeit. Die Arbeit, die sie machen, wird nur leider in finanzieller Hinsicht weit weniger wertgeschätzt. Wäre es nicht eine erwägenswerte Idee, das zur Verfügung stehende Geld dafür einzuplanen, dass Menschen, die eine wichtige Arbeit machen, aber nicht dementsprechend bezahlt werden, einen besseren Lohn erhalten? Vielleicht sogar - das wird Ihnen missfallen, aber ich schreibe es trotzdem - dafür, Menschen ein Leben in Würde zu ermöglichen, egal ob sie es geschafft haben, einen Job zu ergattern? Es gibt jede Menge Möglichkeiten, Geld auszugeben, die wirklich bedürftigen Leuten Helfen.

Damit will ich nicht sagen, dass bei Menschen mit einem Bruttojahresgehalt von über 50.000 Euro auf einmal alles paletti ist und man sich um sie und ihre Probleme nicht mehr kümmern muss. Aber wenn man Ungerechtigkeit beseitigen will, dann fängt man doch am besten bei denen an, die am ungerechtesten behandelt werden, oder? Wenn die steuerliche Entlastung von Einkommen jenseits der 54.000 Euro pro Jahr das drängendste Problem wäre, das unserer finanziellen Zuwendung bedarf, dann hätten wir schon einiges erreicht.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

FAZ.net: CDU-Forderung - Schäuble soll Steuern noch stärker senken als versprochen

Bildquelle:

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