Freitag, 26. Mai 2017

Sehr geehrte Frau Merkel,

endlich habe ich mal die Gelegenheit, Ihnen zu schreiben! Das geht doch nicht an, dass ich schon seit bald einem Halben Jahr Woche für Woche Briefe an Politiker schreibe und die Regierungschefin meines eigenen Heimatlandes noch nicht einmal an der Reihe war (wohingegen ihr Vizekanzler bereits zweimal die Ehre hatte...). Leider hat es sich so ergeben, dass alles, worüber mich zu schreiben gereizt hätte, bisher allenfalls Ihre Minister betraf, niemals jedoch Sie selbst. Zumindest kamen die spannenden Äußerungen zu diesen Themen bislang nie von Ihnen.

Das hat sich nun glücklicherweise geändert, und zwar durch Ihre relativ unverholene Drohung, die auf dem türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik stationierten Bundeswehrsoldaten samt Flugzeugen und Equipment abzuziehen und eine andere Basis in einem anderen Land zu suchen.
Grundsätzlich finde ich diesen Schritt durchaus richtig. Ein Land wie Deutschland, das eine Armee unterhält, also Menschen mit Waffen ausstattet und ihnen den Gebrauch dieser Waffen befiehlt, muss unter allen Umständen größtmögliche Kontrolle über diese Armee und diese Waffen ausüben können. Wie sonst soll dieses Land der Verantwortung für Soldaten und Waffen gerecht werden? Die Türkei ist dafür im Moment schlicht ein zu unzuverlässiger Partner, wenn man sie überhaupt noch als Partner bezeichnen will. Trotz NATO-Mitgliedschaft beider Länder ist es deutschen Abgeordneten nicht einmal möglich, die in die Türkei entsandten Truppen zu besuchen. Keine Frage, die Bundeswehr muss raus aus der Türkei, im Idealfall machen Sie Herrn Erdoğan bei dieser Gelegenheit gleich klar, dass, wenn man sich auf ihn nicht verlassen kann, auch keiner mehr Abmachungen mit ihm eingeht.
Also nur Mut, Frau Merkel. Lassen Sie Ihren Worten ruhig Taten folgen. Meine Unterstützung haben Sie.
Damit ein Erdoğan aber auch wirklich begreift, was man will, muss man meines Erachtens noch deutlicher werden. Finanzielle Hilfen an ein Land, in dem aktuell willkürlich Journalisten und Oppositionelle eingesperrt werden, darf es beispielsweise nicht geben. Erst recht nicht als Bezahlung dafür, dass dieses Land keine Flüchtlinge mehr nach Europa lässt. Setzen Sie sich dafür ein, dass der sogenannte "Flüchtlingsdeal" mit der Türkei beendet wird und stattdessen doch noch eine Regelung in Kraft tritt, die auf der Balkanroute gestrandeten Flüchtlingen die Weiterreise ermöglicht und die finanziellen Belasstungen, die damit einhergehen, gerecht unter den EU-Staaten verteilt. Das ist nicht nur ein Gebot der Menschlichkeit, sondern beraubt Erdoğan auch noch einer seiner Lieblingsdrohungen. Auch Wirtschaftssanktionen sollten nicht tabu sein - wenn sowas gegen den Autokraten Putin geht, warum dann nicht auch gegen den Autokraten Erdoğan? Schließlich ist das Geld so ziemlich der einzige Punkt, an dem man ihn noch empfindlich treffen kann - Worte sind dem Präsidenten der Türkei längst egal, außer vielleicht, wenn er sie als Beleidigung gegen sich und das türkische Volk auffassen und sich so die Loyalität seiner Anhänger sichern kann.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

Zeit Online: Türkei - Merkel droht Erdoğan mit Abzug von Bundeswehr aus Incirlik
Süddeutsche.de: Ein Jahr Flüchtlingsdeal mit der Türkei - die Bilanz

Bildquelle:

https://www.cdu.de/sites/default/files/media/images/angela_merkel/161206-angela-merkel-pressefoto.jpg

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