Freitag, 2. Juni 2017

Sehr geehrter Herr Seehofer,

Jörg Alt hat nicht ganz unrecht, wenn er Ihnen vorwirft, der Partei nachzueifern, die Sie eigentlich zu bekämpfen behaupten. Nicht nur einmal haben Sie verlauten lassen, Ihre Positionen zum Beispiel in Flüchtlingsfragen seien nun mal echt konservativ und genau das brauche es, um der AfD das Wasser abzugraben.
Falsch. Genau das braucht es, um die AfD salonfähig zu machen. Dass eine der "Altparteien" ziemlich genau wiederholt, was AfD-Politiker schon ewig predigen, bestätigt die Wähler nur in ihrer Meinung, dass da wohl etwas dran sein muss. Dass sie deshalb eine nachgemachte AfD dem Original vorziehen, ist nicht zu erwarten. Und außerdem: Was ist denn an einem AfD-Abklatsch besser als an der richtigen AfD? Wenn Sie deren Positionen übernehmen, können Sie auch gleich die Partei wechseln.

Aktuelles Beispiel sind Ihre Worte zu den Geschehnissen rund um die versuchte Abschiebung des Afghanen Asef N. Den knapp 21-jährigen hat die Polizei mitten aus dem Unterricht an einer Berufsschule geholt. Er spricht deutsch, sollte eine Ausbildung zum Schreiner beginnen und wird von seinen Mitschülern als freundlicher, fleißiger und ehrgeiziger Mensch beschrieben - ein Musterbild der Integration, wie auch Sie sie immer wieder von Geflüchteten gefordert haben. Ebendiese Mitschüler hinderten die Streifenwagen der Polizei am losfahren, die Blockade wuchs auf etwa 300 Menschen und die Situation eskalierte - laut Polizei durch aggressive linksautonome Demonstranten, laut Augenzeugen durch den Einsatz von Pfefferspray und Hunden durch die Polizei. Die Angabe der Polizei, neun Beamte seien verletzt worden, aber von den Demonstranten habe es keine Verletztenmeldung gegeben ist nicht mehr als ein schlechter Witz, denn jemandem, der einem gerade Pfefferspray ins Gesicht sprüht, eine Verletzung zu melden ist irgendwas zwischen unwahrscheinlich und unmöglich.
Nun wird also ein junger Mensch mit vielversprechendem Werdegang vor den Augen seiner Mitschüler in Abschiebegewahrsam genommen - wohlgemerkt aus einer Situation heraus, die Integrationswillen und -erfolg einwandfrei erkennen ließ. Was sagt jetzt der Bayrische Ministerpräsident dazu? "Wir müssen ja einerseits schauen, dass die Integration funktioniert. Auf der anderen Seite müssen wir auch darauf achten, dass es nicht zu neuen, massenhaften Flüchtlingsströmen kommt. So etwas spricht sich ja sehr schnell rum."
Alles klar, Herr Seehofer. Sicher, dass die AfD nichts für Sie wäre? Oder sind Sie denen zu herzlos? Gleich von "massenhaften Flüchtlingsströmen" zu fabulieren ist genau Besorgte-Bürger-Style. Ängste vor der Zuwanderung schüren, statt ihre Vorteile aufzuzeigen, willkommen in Dunkeldeutschland. Ihr größtes Problem scheint es zu sein, das Leute von woanders in dieses Land kommen wollen und um dieses Problem zu lösen ist Ihnen jedes Mittel recht. Das ganze Schwadronieren von Integration scheint nur vorgeschoben gewesen zu sein. Letztendlich zählt nur, dass möglichst viele möglichst schnell abgeschoben werden.
Besondere Brisanz erhält die ganze Geschichte durch den kürzlichen Anschlag in Kabul ganz in der Nähe der deutschen Botschaft. An einem der vermutlich bestgeschützten Orte des Landes (rundherum stehen noch andere Botschaften und auch der Präsidentenpalast ist nicht weit) wurde der größte Anschlag verübt, den das Land in den letzten Jahren erdulden musste. Wer sich bisher noch an die Behauptung der Bundesregierung geklammert hat, es gebe in Afghanistan auch sichere Gebiete, in die man abschieben könne, der muss sich, wenn er ehrlich ist, spätestens jetzt von dieser Vorstellung verabschieden.
Vor diesem Hintergrund verlieren auch alle Vorwürfe ihre Bedeutung, Asef N. habe seine Abschiebung jahrelang verhindert, indem er behauptete, keinen afghanischen Pass zu besitzen, obwohl sich inzwischen herausgestellt hat, dass er ein solches Dokument besitzt - bereits seit 2007. In ein Land zurückzukehren, in dem Zustände herrschen, wie aktuell in Afghanistan, das kann man von keinem Menschen verlangen. Wenn jemand sich weigert, bei seiner eigenen Abschiebung in ein solches Land mitzuwirken ist das lediglich eine Maßnahme zum Schutz des eigenen Lebens. Das darf man niemandem verbieten und dafür darf man auch niemanden bestrafen. Schon gar nicht, wenn man aus dem bayrischen Bierzelt heraus zu entscheiden versucht, in welchen Krisengebieten der Welt ein sicheres Leben möglich ist.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

Spiegel Online: Drohende Abschiebung - Wer ist der junge Afghane Asef N.?
Welt.de: "Videobilder sind verstörend" - SPD fordert Auskunft über Tumulte
BR.de: Nach Polizeieinsatz in Nürnberg und Anschlag in Kabul: Heftige Diskussionen über Abschiebungen

Bildquelle:

http://www.seehofer-direkt.de/generated/pics/PV_PT_16_68c8796478.jpg

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