Freitag, 30. Juni 2017

Sehr geehrter Herr Seehofer,

zwei Briefe in einem Monat? Wie kommt es zu dieser unfassbaren Ehre? Nun, im Grunde hätte ich diesen Brief auch an jeden anderen Unionspolitiker schreiben können, der sich gerade von der SPD auf den Schlips getreten fühlt. Da Sie es sich aber nicht nehmen lassen, immer und immer wieder den konservativen Klischee-Bierzeltbayern raushängen zu lassen, macht es mir einfach Spaß, mich auch in dieser Frage wieder an Sie zu wenden, obgleich es eine reiche Auswahl an Parteifreunden gegeben hätte.

Worum geht es? Natürlich um die Ehe für alle. Die SPD hat sich endlich durchgerungen, sich von den Unionsparteien nicht mehr auf der Nase herumtanzen zu lassen, und hat dafür ausgerechnet dieses jahrelange Streitthema gewählt. Gegen den Willen der CDU/CSU haben SPD, Linke und Grüne die entsprechende Gesetzesvorlage durch den Rechtsausschuss des Bundestags gebracht. Schon heute soll im Bundestag abgestimmt werden. "Normalerweise ist das ein Koalitionsbruch" haben Sie ganz richtig bemerkt, und das Verhalten der Sozialdemokraten als "unwürdig" bezeichnet.

Nun sollte man vielleicht hinzufügen, dass die SPD in dieser Sache keineswegs ungeduldig war. Lange hat man sich mit einer klaren Positionierung Zeit gelassen und die Ehe für alle erst zur Koalitionsbedingung gemacht, als Linke und Grüne den Druck erhöht hatten, indem sie erklärten, keinen Koalitionsvertrag ohne die Öffnung der Ehe unterschreiben zu wollen. Wahrscheinlich wäre die SPD auch bei diesem Stand geblieben, hätte das Gesetz für nach der Wahl gefordert und ansonsten weiterhin die Füße stillgehalten - wenn nicht ausgerechnet Kanzlerin Merkel sich zur Sache geäußert hätte.

Man muss dazu sagen, dass die Ehe für alle durchaus als Gewinnerthema zu betrachten ist: 75% der Deutschen sind laut Insa-Umfrage dafür, 20% dagegen. Jetzt setzt sich also Frau Merkel in eine "Brigitte"-Veranstaltung und lässt so nebenbei fallen, eine Abstimmung zur Ehe für alle könne zur Gewissensentscheidung erklärt, der Fraktionszwang in der Union aufgehoben werden.
Ist das ein Schwenk in Richtung Öffnung der Ehe? Die CDU bald als Vorreiter moderner Familienbilder? In your face, SPD!

Schon lange haben die Sozialdemokraten damit zu kämpfen, dass die CDU-Kanzlerin vielversprechende Themen aus dem linken Spektrum einfach übernimmt, gegebenenfalls etwas aufweicht und dann den Applaus dafür einheimst. Die Sorge, mal wieder von den Konservativen vorgeführt zu werden, war also nicht ganz unbegründet. Die SPD hat die Flucht nach vorn ergriffen und beschlossen, das Gesetz gegen die Stimmen des Koalitionspartners durch den Rechtsausschuss zu bringen und im Bundestag zur Abstimmung zu stellen. Ein Zeichen, dass man sich nicht alles gefallen lässt.

Doch nicht genug damit, dass Sie es nicht verkraften, dass sich die SPD auch mal gegen die siegesgewohnte Union zur Wehr setzt, jetzt behaupten Sie auch noch, nur der Zeitpunkt und die Art und Weise seien das Problem. "Man hätte das auch in aller Ruhe im Herbst machen können" ließen Sie verlautbaren - reiner Hohn. Schließlich hätte man das Ganze auch ganz in Ruhe schon vor Jahren erledigen können. Schließlich steckte das Thema schon ewig im Rechtsausschuss des Bundestages fest, wo eine Beratung darüber auf Betreiben der CDU/CSU und mit Stimmen einer loyalen SPD ganze 30(!) mal vertagt wurde. Behaupten Sie also jetzt nicht, es habe an Beratungszeit gemangelt. Hätte Ihre Partei beraten wollen, dann hätte sie einer Beratung nur zustimmen müssen. Was fehlte, war einzig die Umsetzung. Fehlte. Bis heute, denn der Bundestag hat dem Gesetz inzwischen zugestimmt. Übrigens ohne die Stimme unserer ach-so-modernen Bundeskanzlerin. Zumindest in diesem Punkt sollten Sie sich also einig sein.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

Zeit Online: Ehe für alle - Seehofer nennt SPD-Vorgehen unwürdig
heute.de: Ehe für alle - Abstimmung am Freitag im Bundestag
taz.de: 393 Ja-Worte

Bildquelle:

http://www.seehofer-direkt.de/generated/pics/PV_PT_16_68c8796478.jpg

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