Freitag, 14. Juli 2017

Sehr geehrter Herr Seibert,

die meisten Fragen, die Sie als Regierungssprecher und Chef des Bundespresseamtes beantworten müssen, richten sich eigentlich nicht an Sie, sondern an Angela Merkel oder die Bundesregierung allgemein. Nach den Vorgängen beim G20-Gipfel in Hamburg am letzten Wochenende stehen Sie allerdings auf einmal selbst in der Kritik. Zwar müssen Sie sich nicht für brennende Barrikaden und zerstörte Geschäft verantworten (und auch die Kritik an der Bunderegierung für die Standortwahl und das fragwürdige Sicherheitskonzept bleibt seltsamerweise ziemlich leise), dafür waren Ihr Bundespresseamt aber maßgeblich an dem Entzug der Akreditierung von 32 vorher zugelassenen Journalisten beteiligt und bleibt eine wirklich überzeugende Erklärung bislang schuldig.

Erste Frage: Wie kann es sein, dass Journalisten, die die aufwändigen Sicherheitskontrollen im Vorfeld des G20-Gipfels ohne Beanstandung überstanden haben, auf einmal, wenn der Gipfel mitten im Gange ist, als Sicherheitsrisiko gewertet werden? Selbst amerikanische Behörden, die dafür bekannt sind, dass sie den Schutz ihres Präsidenten fast fanatisch betreiben, hatten an diesen 32 Personen nichts auszusetzen. Warum also der plötzliche Meinungswechsel?
Sie selbst haben erklärt, eine "Neubewertung der Sicherheitslage" habe den Entzug der Akreditierungen nötig gemacht. Aber warum musste die Lage denn neu bewertet werden? Ging es um die Ausschreitungen im Schanzenviertel? Mit denen hatte die Polizei doch vorher gerechnet. Schließlich wurde seit Wochen schon keine Gelegenheit ausgelassen, vor linken Gewalttätern zu warnen. Wer, obgleich bekannt ist, dass auch größere Gruppen gewaltbereiter Demonstranten zu erwarten sind, eine derartige Konfrontations- und Eskalationsstrategie fährt, kann nicht behaupten, dass ihn die Ausschreitungen überrascht haben. Eine "Neubewertung der Sicherheitslage" ist hier also entweder erlogen, oder zeugt von maximaler Ahnungslosigkeit und davon, dass man bei der Polizei selbst davon ausging, die Gefahrenlage im Vorfeld überdramatisiert zu haben.

Doch selbst wenn es eine Neubewertung gab, inwiefern betraf sie die betroffenen Journalisten? Wurde befürchtet, dass die Medienvertreter mit Molotowcoctails den roten Teppich stürmen? Eine Turboradikalisierung der Presse durch die Eindrücke, die die Demos und die Geschehnisse danach bei ihnen hinterlassen haben? Gingen Sie davon aus, dass vorher als ungefährlich eingestufte Personen auf einmal spontane Anschläge auf die G20-Teilnehmer verüben, weil sie andere Leute beim Krawallmachen gesehen haben? Zur Erinnerung: Eine Akkreditierung befreite einen nicht von den Kontrollen beim Zugang zu den Sicherheitsbereichen.

Nun hat sich herausgestellt, das mindestens sechs der ausgesperrten Journalisten in den Fokus türkischer Behörden geraten waren. So machten einige von ihnen Fotos in kurdischen Gebieten der Türkei und wurden daraufhin kurzzeitig als "Terroristen" inhaftiert. Die oft geäußerte Vermutung: Präsident Erdoğan könnte eine Wunschliste geschickt haben. Sie, Herr Seibert, haben das dementiert und Innenminister de Maizière behauptete, die Erkenntnisse stammten sämtlich aus "Erkenntnissen deutscher Sicherheitsbehörden". Laut RBB-Inforadio kommen die Hinweise jedoch vom Verfassungsschutz. Dieser steht mit ausländischen Geheimdiensten in Verbindung, betrachtet deren Hinweise jedoch als "Eigene Erkenntnisse". Mal ganz ehrlich, können Sie unter diesen Umständen wirklich sicher sein, dass der türkische Geheimdienst da nicht seine Finger im Spiel hat? Die "nicht unerheblichen Straftaten", von denen ein Sprecher des Innenministeriums sprach, wären in diesem Fall also die türkischen Anschuldigungen des Terrorismus - was unter Erdoğan nichts anderes heißt, als dass diese Menschen den Anschein erweckten, ihn kritisieren zu wollen. Sicher, das ist kein Beweis für eine türkische Einflussnahme. Nachgehen sollte man der Sache aber schon. Sollte man? Sollten Sie!

Doch hier ist der ganze Skandal noch nicht zu Ende. Bei den Versuchen, den Entzug der Akkreditierungen zu rechtfertigen, kam heraus, dass es schon seit mindestens 10 Jahren Gang und Gäbe ist, einzelnen Journalisten auf Großveranstaltungen wie dieser persönliche Bewacher des BKA an die Seite zu stellen. Ob es sich dabei tatsächlich um Be- oder eher um Überwacher handelt, ist Interpretationssache. 28 der 32 Journalisten hätten auch dieses Mal beim Betreten einer Sicherheitszone einen solchen Bewacher zugeteilt bekommen sollen. Da das BKA sich mittendrin nicht mehr in der Lage sah, diese Überwachung zu gewährleisten, so taz-Recherchen, seien die Akkreditierungen eben ganz entzogen worden. Wozu diese Bewacher gut sein sollten, ist nicht ganz klar. Wieder steht die Frage im Raum, ob plötzliche Journalisten-Amokläufe befürchtet wurden. Oder vielleicht ein Angriff von Donald Trump auf die "Fake News"-Produzenten? Sicher ist nur, dass das Konzept nicht aufgegangen ist: Einer der zu überwachenden Journalisten war im Sicherheitsbereich bei der Landung der Air Force One mit Präsident Trump - ganz ohne BKA-Begleitung. Gestorben ist allem Anschein nach niemand.

Nun haben Sie, Herr Seibert, natürlich weder die BKA-Strategie der Journalistenbegleitung (-beschattung?) bestimmt, noch die Sicherheitseinschätzungen verfasst. Für den Entzug der Akkreditierungen tragen Sie als Chef des Bundespresseamtes aber durchaus eine Verantwortung und damit sind Sie auch dafür verantwortlich, dass die Gründe für die Maßnahme gründlich geprüft werden. Schließlich geht es hier nicht um Kleinigkeiten, sondern um das Abwägen von Sicherheitsbedenken gegen nichts geringeres als die Pressefreiheit. Sie als ehemaliger Journalist sollten wissen, wie elementar die Letztere für eine Demokratie ist.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

T-online: Bundesregierung verteidigt Rauswurf von Journalisten
Zeit online: Özdemir verlangt Auskunft über gesperrte Journalisten
FAZ.net: SCharfe Kritik an "Schwarzer Liste"

Bildquelle:

https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Biographien/Bilder/sts_steffen_seibert.jpg?__blob=poster&v=3

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