Freitag, 28. Juli 2017

Sehr geehrte Frau von der Leyen,

es gibt viele Dinge, für die ich Sie kritisieren könnte. Als Verteidigungsministerin bieten Sie jemandem, der Waffen und Bewaffneten grundsätzlich äußerst skeptisch gegenübersteht, natürlich viel Angriffsfläche. Mich zu allem, was in der deutschen Verteidigungspolitik aus meiner Sicht falsch läuft, per Brief bei Ihnen zu melden würde jedoch bei Weitem den Rahmen meiner zeitlichen Kapazitäten sprengen, daher begnüge ich mich schweren Herzens damit, mir ab und zu mal einen bestimmten Punkt herauszupicken.

Der Punkt, an dem ich heute ansetze, ist eigentlich schon vier Monate alt. Leider ist er aber trotzdem noch bzw. wieder brandaktuell. Es geht um den Einsatz deutscher Tornados im Rahmen des Anti-IS-Einsatzes Inherent Resolve in Syrien und dem Irak. Genauer gesagt um die Bombardierung eines ehemaligen Schulgebäudes durch die Anti-IS-Koalition am 20. März. Laut lokalen Beobachtern sollen sich in dem Gebäude Zivilisten befunden haben, Flüchtlinge aus anderen Landesteilen, die vorübergehend dort untergebracht worden waren. Der große Aufreger in Deutschland: Noch am Tag vor dem Angriff hatten die deutschen Tornados Fotos der Gegend gemacht und sie an die Anti-IS-Partner übermittelt. Ein paar Tage lang mussten Sie und andere Politiker unangenehme Fragen über sich ergehen lassen: Hat die Bundeswehr eine Mitschuld am Tod dutzender Zivilisten?

Inzwischen ist es ruhig geworden. Die Fragen sind verstummt. Beantwortet wurden sie nicht. Anfang dieses Monats wollte nun auch das Hauptquartier der Inherent-Resolve-Mission das Thema endlich zu den Akten legen. Als kleine Notiz nur, irgendwo weit hinten in einem der monatlichen Berichte über zivile Opfer, wurde vermerkt, die "Beweislage reiche nicht aus, um zu beweisen, dass bei diesem Angriff Zivilisten zu Schaden kamen". Damit hat sich das Thema für die Anti-IS-Koalition erledigt. Für Sie auch, Frau von der Leyen?

Das große Problem ist hier möglicherweise gar nicht die Aufklärung. Oder besser: Sie ist nicht das einzige Problem. Sicher, es ist wichtig, herauszufinden, ob Zivilisten ums Leben kamen und wenn die Aufarbeitung eines solchen Einsatzes derart ergebnislos endet, wie in diesem Fall, ist durchaus Skepsis gerechtfertigt, ob tatsächlich alle Mittel ausgeschöpft wurden, um in der Sache Klarheit zu schaffen. Uns als Deutschen und Ihnen als Verteidigungsministerin zeigt dieser Fall jedoch noch etwas anderes, nämlich dass wir uns ernsthaft Gedanken darüber machen müssen, ob wir mit dem Potential unserer Streitkräfte so verantwortungsvoll umgehen, wie wir eigentlich müssten. Schließlich ist die Linie der Bundesregierung in der Verantwortungsfrage stets gewesen, dass die Bundeswehr ja nur Bilder und keine Raketen schieße und daher für die Opfer des Kampfs gegen den IS nicht verantwortlich zu machen sei. Eine sehr bequeme Auslegung der Sachlage. Weder an der Aufarbeitung des Angriffs auf das Schulgebäude noch an der Auswertung der Bilder der deutschen Tornados oder an der Einsatzplanung der IS-Gegner ist Deutschland beteiligt. Wie also können wir sicher sein, dass mit den Daten verantwortlich umgegangen wird? An den Ergebnissen der Untersuchungen von Inherent Resolve sieht man: Wir können es nicht. Es wurde nicht aufgeklärt, ob tatsächlich Zivilisten gestorben sind. Sollte es jedoch so sein, dann wäre Deutschland mitverantwortlich. Erstend durch das Liefern der Bilder und zweitens dadurch, dass sie an offenbar unzuverlässige Partner übergeben wurden. Aus dieser Verantwortung können Sie sich nicht herausargumentieren.

Wenn Sie vermeiden wollen, in Zukunft noch einmal mitverantwortlich für die Fehler fremder Streitkräfte zu sein, bleibt Ihnen nur, von deutschen Soldaten erhobene Daten nicht mehr weiterzugeben, ohne sicherzustellen, dass Sie ihre Verwendung weiterhin kontrollieren können. Mein persönlicher Tipp: Gehen Sie noch einen Schritt weiter und beenden Sie die Auslandseinsätze des deutschen Militärs. Militärinterventionen schaffen in aller Regel keine friedlichen, demokratischen Staaten. So viel sollten wir alle inzwischen gelernt haben.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

taz.de: Die Frage nach den zivilen Opfern
tagesschau.de: Bundeswehr in verheerenden Luftschlag involviert

Bildquelle:

http://www.ursula-von-der-leyen.de/img/gallery/18.jpg

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