Freitag, 15. Juni 2018

Sehr geehrter Herr Dobrindt,

ich spreche Sie als Landesgruppenchef der CSU stellvertretend für Ihre Partei, insbesondere für Bundestagsfraktion und Parteiführung, an, die ja im aktuellen Unionskrach (komisches Wort...) alle in dieselbe Kerbe schlagen. Wieder einmal bin ich entsetzt und wieder einmal kann ich mir nicht erklären, was Sie sich eigentlich dabei denken. Was könnte eine sinnvolle Erklärung dafür sein, wie Bundesinnenminister Seehofer gerade die Schwesterpartei zu zerlegen versucht? Dass es zwischen Seehofer und Merkel nicht zum Besten steht, war ja hinreichend bekannt. Seehofers Taktik, in Sachen Migrationspolitik der AfD hinterherzurennen verträgt sich nicht mit Merkels Taktik, die politische Mitte (jenen geheimnisvollen Raum, den alle zu vertreten behaupten, obwohl niemand ihn so ganz genau verorten kann) zu bespielen. Außerdem würde ich unterstellen, dass sie neben ihrer Tätigkeit als Bundeskanzlerin auch manchmal ein Mensch ist. Seehofer hingegen hat sich das Stänkern zum Beruf gemacht - und wird dabei von Ihnen unterstützt und von Markus Söder angestachelt. In letzter Zeit haben Sie jedoch alle nochmal eine Schippe drauf gelegt.

Seehofers "Masterplan Migration" sorgt nicht nur für Streit in der Union. Zum ersten Mal lese ich, dass die Einrichtung der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU ernsthaft infrage gestellt wird. Seehofer droht mit einem Ministererlass, wenn seine Forderung, Geflüchtete schon an der Grenze abzuweisen, nicht umgesetzt wird. Ein Ministererlass gegen den ausdrücklichen Willen der Kanzlerin! Träte das ein, so die Einschätzung von Leuten, die es wissen müssen, dann bliebe Merkel nichts anderes übrig, als Seehofer als Minister zu feuern. Die CSU wiederum müsste das mit dem Koalitionsbruch quittieren - stehen wir also kurz vor Neuwahlen?

Das eigentlich erstaunliche an der ganzen Sache ist, dass kaum vorstellbar ist, wem die gezielte Eskalation Ihrer CSU eigentlich etwas bringen soll. Auf Bundesebene können bei einem solchen, in der Öffentlichkeit im Grunde als parteiintern wahrgenommenen Streit alle gewinnen, die nicht zur Unionsfraktion gehören. Ihren Umfragewerten wird das Ganze nicht aufhelfen.
Eine gängige Interpretation dieses ganzen CSU-Wutanfalls ist ja die, dass hier auf bundespolitischer Ebene der bayerische Landtagswahlkampf ausgetragen werde. Da mag etwas dran sein, aber mir ist nicht ganz klar, wie die Aktion Herrn Söder dabei helfen soll, die absolute Mehrheit zu verteidigen? Sie müssen doch ein ganz furchtbares Bild von den bayerischen Wähler*innen haben, wenn Sie zu glauben scheinen, jeder Anschein von Solidarität mit Schutzsuchenden würde Ihre Erfolgschancen mindern. Und außerdem: Auf der rechten Schiene prügeln Sie sich mit der AfD um die Wähler*innen und die AfD ist in ihrem Rassismus und ihren unmenschlichen und unsolidarischen Äußerungen wesentlich glaubhafter. Gleichzeitig verlieren Sie immer mehr moderate Konservative, die sich bei einer mittig angesiedelten SPD dann doch wohler fühlen, als bei einer CSU, deren Spitzenkandidat andeutet, die EU sei am Ende und die das "C" in ihrem Namen nur noch darin manifestiert sehen möchte, dass sie allen Menschen ihre religiösen Symbole aufzwingt, das "christliche" Gebot der Nächstenliebe aber gekonnt ignoriert. Von der Ankündigung einer "Achse" Berlin-Wien-Rom ganz zu schweigen...

Was ich Ihnen damit sagen will: Nicht nur ist der "Masterplan Migration" von Horst Seehofer eine absolute Katastrophe und spielt allen in die Hände, die den Unterang unserer Gesellschaft durch Zuwanderung an die Wand malen; die Art und Weise wie Sie diesen Plan durchzusetzen versuchen wirkt auch noch ausgesprochen unüberlegt und macht nicht einmal aus wahltaktischen Gründen Sinn. Interessant: Dass es Ihnen und Ihrer Partei bei Gesetzgebungsvorhaben um etwas anderes gehen könnte, glaubt offenbar sowieso niemand mehr.

Mit freundlichen Grüßen

HG

Der Hintergrund:

spiegel.de: Endlich die Sau rauslassen
sueddeutsche.de: "Herr Söder benimmt sich wie ein Bonsai-Trump"

Bildquelle:

http://www.alexander-dobrindt.de/fileadmin/user_upload/images/alexander-dobrindt-2014.jpg

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